Die Weimarer Republik
der SPD zu distanzieren begann. Die Gewerkschaften hatten sich gegen denWiderstand der SPD dem 1931 gegründeten Freiwilligen Arbeitsdienst geöffnet, obwohl der 1932 paramilitärische Züge annahm. Das Gleiche galt für das Reichskuratorium für Jugendertüchtigung, das unter der Führung des Generals Joachim von Stülpnagel im Auftrag der Reichswehr die Sammlung aller Wehrverbände («quer» zu den Parteien) zur Aufgabe hatte und in dem auch das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold mitarbeitete. Vor allem lockte Schleichers Bereitschaft zu einer aktiven Konjunkturpolitik. Daher hatte sich der ADGB auf über diesen lancierte Gespräche mit dem Strasser-Flügel der NSDAP eingelassen. Zusätzlich bot der Kanzler die Aufhebung der Notverordnung vom 5. September an, die das Tarifrecht einschränkte. Und mit Günther Gereke setzte er einen Reichskommissar für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein, der bereit war, auf den gewerkschaftlichen «WTB-Plan», benannt nach seinen Urhebern Woytinsky, Tarnow, Baade, zur Belebung der Konjunktur einzugehen. In dem Arbeitsbeschaffungsausschuss des Landgemeindetages, dessen Präsident er war, waren Mitglieder von der NSDAP bis zur SPD, vom Stahlhelm bis zum Reichsbanner vereint. Deren Vertreter, darunter ein Vertrauensmann Strassers, konnte er als Mitarbeiter gewinnen. Es ist fraglich, ob der ADGB einen Bruch mit der SPD verkraftet hätte, ob er den Querfront-Kurs gegenüber den Mitgliedern hätte durchsetzen können. Jedenfalls ließen die Gewerkschaften erkennen, dass sie zur Zusammenarbeit mit Schleicher bereit waren.
Doch der Angelpunkt der «Querfront»-Strategie war Strasser. Bei der Vorstellung seines «Sofortprogramms» für «Arbeit und Brot» im Mai 1932 hatte er kaum verhüllte Kooperationsangebote an ADGB und SPD gemacht, durch Arbeitsbeschaffung gemeinsam eine Lösung des Arbeitslosenproblems zu suchen. Da er nicht mehr glaubte, dass seine Partei aus eigener Kraft an die Macht gelangen werde, erklärte er sich bereit, als Minister in ein Kabinett einzutreten, allerdings nur mit Hitlers Zustimmung. Als der sich nach der Wahlniederlage vom November 1932 dem Modell versagte, zog Strasser seine Zusage zurück. Aber noch waren die innerparteilichen Kämpfe nicht entschieden. Bei SA und NSBO stieß Hitlers Unnachgiebigkeitimmer mehr auf Unverständnis. Der Partei drohte ein erhebliches Wählerpotential verloren zu gehen, wenn sie sich einer konstruktiven Politik versagte: Zuletzt waren 40 % der Stimmen für die NSDAP von Arbeitern abgegeben worden. Vorübergehend schien Hitler bereit, Strassers Eintritt in eine Regierung Schleicher zu akzeptieren. Doch am 1. sowie am 4./5. Dezember erlitt Strasser innerparteilich die entscheidende Niederlage, obwohl ca. ein Drittel der Reichstagsfraktion und ein Großteil des mittleren Führungskorps seinen Kurs unterstützt haben soll. Eine Parteispaltung schien bevorzustehen. Doch Strasser nahm den Kampf nicht auf, sondern trat am 8. Dezember von allen Parteiämtern zurück und fuhr in den Urlaub. Für wie gefährlich Hitler die Situation eingeschätzt hatte, lässt die Tatsache erahnen, dass Strasser wie Schleicher während des «Röhm-Putsches» liquidiert wurden.
So vage die Möglichkeit war, dass ein autoritäres Regime mit gewerkschaftlicher Unterstützung hätte regieren können, so entscheidend hat sie doch zu Schleichers Sturz beigetragen. Obwohl er eine energische Bekämpfung der Wirtschaftskrise einleitete, obwohl er in seiner Ämterkombination von Reichskanzler und Reichswehrminister Schutz gegen einen Putsch der NSDAP signalisierte – außer bei der politischen Mitte erfuhr er keinen Rückhalt. Die SPD kündigte «allerschärfste Opposition» an. Ebenso konnte er bei den großen Interessenverbänden nicht auf entscheidende Rückendeckung rechnen. Der Reichslandbund (RLB) stand unter dem Einfluss der NSDAP. Wollte Schleicher die Gewerkschaften gewinnen, musste er eine arbeitnehmerfreundliche Lohn-, Preis- und Konjunkturpolitik einleiten. Dazu passte kein Zollschutz für die Landwirtschaft, auch kein Vollstreckungsschutz für überschuldete Betriebe. Als die Regierung zögerte, den protektionistischen Forderungen der Landwirtschaft nachzukommen, führte das zu einem Generalangriff des RLB, der der Regierung «die Ausplünderung der Landwirtschaft zugunsten […] der international eingestellten Exportindustrie» vorwarf. Doch auch die Industrie, die für ihre Forderung nach Exportorientierung auf Sympathien rechnen konnte, lehnte
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