Die weise Frau
und die deiner Augen und Haare. Du wirst jeden Tag dünner von der Leidenschaft, die dich innerlich verzehrt — noch einen Monat, und du bist eine häßliche Jungfer. Wenn du etwas haben willst, solltest du es dir sofort nehmen. Warten ist für dich nur eine harte Prüfung.«
Alys nickte.
»Soll ich es ihm sagen?« fragte Morach. »Ich gehe abends immer als letzte. Ich könnte ihn beiseite nehmen und ihm sagen, daß er hierherkommen kann, wenn er Catherines Gemach verläßt. Und ich werde Wache halten, bis ihr beide fertig seid.«
Alys drehte sich zum Bett und sah die alte Frau an. Ihr Gesicht war mißtrauisch. »Warum?« fragte sie. »Warum würdest du es riskieren, Lady Catherine zu brüskieren — du, die du so hoch in ihrer Gunst stehst, den doppelten Lohn wie alle anderen bekommst, die kommen und gehen kann, wie sie will, ihr offen die Meinung sagt. Warum willst du das alles aufs Spiel setzen?«
Morach lachte. »Es ist ein Spiel, Kind«, sagte sie geduldig. »Es ist nichts anderes als Runen werfen oder Karten lesen oder Kräuter zubereiten. Es ist ein Spiel. Was wird als nächstes passieren? Der ganze Zauber liegt in der Frage: was wird passieren, wenn...? Ich will wissen, was mit dir passiert, wenn Hugo dich nimmt. Es interessiert mich, mehr nicht.«
»Kannst du es denn nicht voraussehen?« fragte Alys. »Warum kannst du nicht in die Zukunft sehen wie früher, Morach?«
Die alte Frau zuckte die Achseln. »Ich sehe, daß du nicht mehr lange Zeit hast, das sollte dir genügen. Wenn ich versuche zu sehen, wird alles dunkel. Ich sehe nur Finsternis und Wasser. Also solltest du besser so handeln, wie es jede Frau tun würde — und zum Teufel mit dem zweiten Gesicht. Soll ich ihm sagen, daß du ihn sehen willst?«
Alys stutzte. »Ja«, sagte sie plötzlich entschlossen. »Jetzt. Hol ihn jetzt von Catherine weg. Ich kann es nicht ertragen, wenn er mit ihr schläft.«
Die alte Frau nickte, glitt aus dem Bett, legte sich den Schal um die Schultern und schlich sich durch die Tür. Alys nahm noch einmal den Spiegel, fuhr sich mit der Hand durch ihr dichtes Haar und sah, wie Farbe in ihre blassen Wangen kam. Auf der anderen Seite der Galerie hörte sie Morachs freches Klopfen an der Tür und wie sie rief: »Lord Hugo! Der alte Lord fragt nach Euch. Er hat gesagt, Ihr sollt sofort kommen!«
Sie hörte Hugos leisen Fluch und seine schnellen Schritte zur Tür. Sie hörte, wie er Catherine zurief, sie solle schlafen, und wie die Tür zum Schlafgemach zuknallte. Er betrat die Galerie.
Alys warf den Spiegel beiseite und ging ihm entgegen.
»Lord Hugh braucht dich nicht. Ich habe Morach geschickt.« Sie stand hoch erhobenen Hauptes da, und ihr Haar umschmeichelte golden ihr Gesicht. Hugo starrte sie an, die dünne Baumwolle ihres Nachthemdes und den hektischen Puls an ihrem Hals unter dem halb geöffneten Gewand.
»Alys«, sagte er leise.
Er sah, wie die Muskeln ihres Halses sich bewegten, als sie schluckte.
»Ich kann es nicht ertragen, wenn du die Nacht bei ihr verbringst. Du hast gesagt, ich soll warten, bis du aus Newcastle zurückkommst, und ich habe gewartet. Ich will, daß du mein Geliebter wirst. Ich habe so lange davon geträumt, daß du zu mir nach Hause kommst.«
Hugos blitzendes Lächeln kam und ging. »Du hast gehört, was mein Vater gesagt hat. Du weißt, wie dringend ich einen Erben brauche. Du weißt, daß meine Zukunft und die meiner Familie vom Erben dieses Schlosses und dieser Ländereien abhängt. Und er hat mir Geld versprochen, Alys. Ich kann Catherine nicht vor den Kopf stoßen, wenn sie das Kind unter dem Herzen trägt, das ich mehr als alles andere auf der Welt brauche!«
»Und was ist mit mir?« brach es aus Alys heraus. »Ich sehe, was Catherine braucht und was sie ja wohl auch kriegt! Und ich sehe, was du brauchst! Aber wo bleibe ich?«
Hugo sah sie an, und sein Lächeln vertiefte die Fältchen um seine Augen. »Du willst mich.« Es war keine Frage.
Alys nickte.
»Ist Morach weg aus deinem Zimmer?« fragte er.
Alys sah ihn nicht an, sie nickte wieder.
»Dann komm«, sagte er, legte seinen Arm um ihre Taille, und sie ließ sich von ihm in ihre Schlafkammer führen, hochheben und aufs Bett legen.
Er zog ihr Gewand hoch, um sie nackt zu sehen, und seufzte leise vor Wonne über ihren Anblick — wie ein Tier, dachte Alys. Sie schloß die Augen und dachte an die Tage und Nächte, in denen sie sich nach ihm gesehnt hatte, nach diesem Augenblick gesehnt hatte.
»Das ist Hugo«, sagte
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