Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
Schlüsselbein stand kantig hervor. Sie hatte dunkle Schatten um die Augen und Sorgenfalten um den Mund. Ihre kindliche Rundlichkeit war dahin, ihre Wangen hohl und blaß. Die blauen Augen sahen riesig aus, armselig. Sie strahlte Kälte, Einsamkeit und Bedürftigkeit aus.
    Alys schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse. »Solange ich so aussehe, werde ich ihn nicht zurückgewinnen«, sagte sie leise. Sie ging etwas näher an den Spiegel. »Ich werde ihn überhaupt nicht zurückgewinnen«, sagte sie leise. »Er hätte mich lieben können, als ich frisch vom Moor kam, ausgebildet von meiner Mutter Äbtissin und geschickt wie Morach. Damals hätte er mich lieben können und mir auch treu sein können, dann war das ganze Elend nicht passiert. Jetzt habe ich mich der Magie verschrieben, und etwas frißt an meinem Inneren wie ein gieriges Ungeheuer, so daß meine ganze Kraft versickert und mir nur die Sehnsucht nach ihm bleibt.«
    Das Gesicht im Spiegel war verhärmt. Alys hob ihre Hand und spürte die Tränen auf ihrer Wange. »Und meine Magie«, sagte sie leise. »Genug Magie und Sehnsucht, um zu verletzen. Mehr ist mir nicht geblieben. Keine Kraft, um einen Mann dazu zu bringen, mich zu lieben.«
    Sie seufzte, so daß die Kerze flackerte und Rauch spuckte. Alys beobachtete, wie sich der schwarze Faden zur buntbemalten Balkendecke schlängelte.
    »Ich habe ganz tief gegriffen, um ihn loszuwerden«, murmelte sie leise. »Ich hab all meine Macht dazu eingesetzt, seine Augen von mir abzuwenden. Ich muß noch einmal so tief einsteigen, um ihn zurückzubekommen.«
    Die Flamme erbebte, als wolle sie zustimmen.
    Alys beugte sich vor. »Soll ich es tun?« fragte sie die kleine gelbe Flamme.
    Sie senkte sich erneut. Alys lächelte, und ihr Gesicht strahlte wieder vor Jugend und Lebensfreude.
    »Flammengespräche. Eine Flamme als Ratgeber!«
    Das Zimmer war totenstill, sie hörte, wie jemand in der Galerie zur Laute griff und ein paar Akkorde anschlug, um sie zu stimmen. Die Akkorde hingen in der Luft, als würde Alys die Zeit selbst anhalten, während sie ihre Entscheidung traf. »Das ist mehr als Schwarze Magie«, sagte sie nachdenklich. »Mehr als ich davon weiß. Mehr als Morach davon weiß.«
    Die Kerzenflamme flackerte aufmerksam.
    »Ich werde es tun!« sagte Alys plötzlich. »Werde ich dadurch Hugo gewinnen?«
    Die Flamme loderte auf, und ein kleiner Funke sprühte aus dem Docht auf. Alys erschrak und klatschte dann die Hände vor den Mund, um nicht laut loszulachen.
    »Ich gewinne Hugo!« sagte sie entzückt. »Ich bekomme, was ich will!«
    Sie packte den Kerzenleuchter, um aus dem Zimmer zu gehen. Unterm Gehen bauschte sich die Flamme wie eine Girlande, erleuchtete die Wände und Hugos und Catherines großes Bett mit dem Vorhang, so daß sein Schatten wie ein riesiges Tier auf der Pirsch hochsprang. Alys öffnete die Tür zur Galerie und trat in das hell erleuchtete Zimmer und die Musik. In ihrem Halter, unbemerkt, zwinkerte die Kerzenflamme und erlosch.
    Die Frauen waren um den Kamin versammelt. Catherine, rund und warm, saß im Stuhl zurückgelehnt mit geschlossenen Augen und lauschte Eliza, die die Laute zupfte. Alys glitt wie ein blaßgoldenes Gespenst durch den Raum mit ihrem erloschenen Kerzenleuchter und ging in ihre Schlafkammer.
    Sie schloß die Tür hinter sich, aber Elizas falsches Geklimper verfolgte sie. Sie lehnte sich gegen die Tür, als wolle sie den Raum gegen alle blockieren. Dann zuckte sie mit den Achseln, wie ein Spieler, der nichts mehr zu verlieren hat, ging zur Garderobe und rollte sich die Ärmel auf. Sie rümpfte die Nase ob des Gestanks, griff dann durch das Loch in der Wand und tastete nach der Schnur und dem Beutel mit den Wachspuppen. Der Beutel klebte an der Schloßwand, kotverkrustet. Alys versuchte ihn zu fassen, zu kriegen. Endlich gelang es ihr, eine Ecke zu packen, und sie riß den Beutel von der Wand und ging ins Zimmer.
    »Pfui«, sagte sie leise. Sie trug den Beutel zum Kamin und zerrte am Verschluß. Die steife Schnur war hartnäckig, aber endlich brach sie, und die Wachspuppen fielen auf den Boden. Alys hatte vergessen, wie häßlich sie waren. Die kleine Puppe von Catherine mit ihren gespreizten Beinen und ihrem grotesk fetten Bauch, der alte Lord mit seinem gierigen Schnabelgesicht, und Hugo — ihr geliebter Hugo — mit den blind gewischten Augenlidern, den weggeriebenen Ohren, der Mund eine Delle und die Finger klobige Stumpen. Alys erschauderte und warf den Beutel ins Feuer,

Weitere Kostenlose Bücher