Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
sie.
    »Ich hatte das Gefühl, jemand hätte mich gestoßen«, sagte sie Ihr Mund zitterte wie der eines kleinen Kindes, das unvorstellbare Grausamkeit erfahren hatte. »Es war, als hätte mich jemand gestoßen.«
    Alys erwiderte mit teilnahmslosem Gesicht ihren Blick.
    »Ich habe ein summendes Geräusch gehört — wie Bienen oder wie wenn ein Mensch summt —, und dann hat mich jemand gestoßen, ganz fest gestoßen und mich unter Wasser gedrückt«, sagte sie.
    Alys' bildschönes Gesicht war unschuldig, die blauen Augen zuversichtlich.
    »Das war Einbildung«, sagte sie mit honigsüßer Stimme. »Ihr habt einen furchtbaren Schreck erlitten. Schwangere Frauen haben diese Ängste, Mylady. Es war niemand in Eurer Nähe, Mylady. Wie hätte denn dann jemand summen und Euch ins Wasser stoßen können?« Sie lachte freundlich.
    Catherine steckte Alys aus dem Pelznest eine Hand entgegen.
    »Hältst du mir bitte die Hand, Alys?« fragte sie. »Ich habe Angst. Ich habe solche Angst.«
    Alys kam ein Stückchen näher. Sie hört jetzt das Summen in ihrem eigenen Kopf, wie ein dösender Bienenstock. Sie wußte, wenn sie auch nur die kleinste Fingerspitze von Catherines weißer, kalter Hand berührte, würde die Versuchung siegen, sie würde das Kissen packen und es auf das verängstigte Gesicht pressen. Das Summen war zu laut, um ihm zu widerstehen.
    »Ich bin grausam zu dir gewesen, Alys«, sagte Catherine, ihre Stimme nur ein dünner Faden. »Ich habe dich schlecht behandelt und dich gequält. Ich war eifersüchtig.«
    Alys zeigte weiterhin ein ausdrucksloses Gesicht und klammerte sich an das Summen. Lauter und immer lauter schwoll das Geräusch an, während Catherine sie näher zu sich winkte.
    »Es tut mir leid, Alys«, sagte Catherine leise. »Bitte verzeih mir, Alys, Hugo hat dich so begehrlich angesehen, daß ich es nicht ertragen konnte. Bitte verzeih mir.«
    Das Summen verdrängte jeden Gedanken. Catherine streckte die Hand nach ihr aus. Alys' Hände zitterten vor Lust, sich um den feisten Nacken zu schlingen, bis kein Atemzug mehr von diesem fetten, weißen, verwöhnten Körper ausging.
    »Bitte, Alys«, flehte Catherine. »Du weißt nicht, was es heißt, so eifersüchtig zu sein, wie ich es auf dich war. Es hat mich zur Sünde gegen dich verführt. Ich weiß, daß ich dich gereizt und gequält habe. Ich fürchte, ich habe dich zu meinem Feind gemacht. Verzeih mir, Alys. Bitte sag, daß du mir verzeihst.«
    Alys kam ein Stückchen näher. Catherines Gesicht war mitleiderregend. Alys merkte, daß sie lächelte, strahlend vor Freude über das, was sie jetzt tun würde. Catherine streckte flehend die Arme nach ihrer Mörderin aus. Alys kam noch einen Schritt näher, streckte ihre eigenen Hände aus...
    »Im Namen Unserer Lieben Frau«, sagte Catherine, »sag, daß du mir vergibst.«
    Alys blieb stehen, schloß eine Sekunde die Augen und schüttelte den Kopf. Sie holte tief Luft. Das Summen dröhnte einen Augenblick lang wütend in ihrem Kopf und nahm dann langsam ab.
    Catherine streckte die Hand nach ihr aus. Alys kam näher und nahm sie zögernd.
    »Ich war eifersüchtig«, fuhr Catherine eifrig fort. »Du warst so schön, als du zum ersten Mal auf die Burg gekommen bist, Alys. Und Hugo war so kalt zu mir. Du bist so klug und gebildet, und der alte Lord hat dich gemocht — mich hat er nie wirklich gemocht. Und ich hatte Angst, du würdest sie mir wegnehmen, alle beide. Meinen Gatten und meinen Vormund. Ich hatte Angst, du würdest mir meinen Platz wegnehmen. Dann hätte ich nichts mehr gehabt, Alys.« Sie atmete jetzt heftig, aber ihre Wangen waren immer noch aschfahl. Weiß wie eine Wachspuppe.
    Alys hielt Catherines kalte Hand und klammerte sich an ihre Macht. Ihre Hände wurden eisig, kälter als Catherines, kälter als der winterliche Fluß selbst. Alys erschauderte vor Erregung und legte ihre andere Hand über Catherines.
    "Ich glaube, ich sterbe«, keuchte Catherine. »Das Zimmer ist plötzlich so dunkel, so furchtbar dunkel, Alys. Halt meine Hand ein wenig fester, ich kann dich kaum sehen.«
    Alys drückte sie fester, wie ihr geheißen. Ein hungriges Grinsen verzerrte ihr Gesicht. Sie fühlte, wie die Kälte und die Finsternis aus ihr, durch ihre Hände in Catherines strömte. »Ist Euch kalt?« fragte sie.
    Catherine erschauerte. »Ich erfriere, Alys! Ich erfriere!« rief sie. »Und alle Kerzen sind ausgegangen! Und das Feuer ist aus! Warum ist es so kalt? Ich habe das Gefühl, hier ist keiner, der mich liebt.

Weitere Kostenlose Bücher