Die weise Frau
machte sie auf dem Absatz kehrt und stürzte sich, die Röcke hochgerafft, in den Nebel und rannte, so schnell sie konnte, wie ein gehetztes Tier in den tiefsten Nebel im Tal.
»Halali!« brüllte Hugo. »Eine Hexe! Eine Hexe!« Er sprang in den Sattel, packte Alys am Arm und riß sie zu sich hoch. Der Jäger ließ die Hunde von der Leine, und sie bellten und drehten sich im Kreis, als könnten sie die Spur nicht finden. Einer zerrte mit weit aufgerissenem Maul an Alys. Hugo versetzte ihm fluchend einen Tritt. »Halali! Halali!« brüllte er noch einmal. »Eine Hexe! Sucht die Hexe! Sucht die Hexe! Sucht!«
Der große Hund bellte wieder und warf sich auf Alys, aber dann blies der Jäger in sein Horn, und die Hunde stürmten davon. Hugos riesiger Hengst drehte sich und galoppierte hinterher. Alys drückte ihr Gesicht gegen Hugos Rücken und klammerte sich schluchzend vor Angst an ihm fest.
Morach war vor ihnen, stolperte bergab, rutschte durch den Schlamm, kroch über die Steine, raffte sich wieder auf und rannte um ihr Leben. Doch die Hunde spürten sie auf. Als Morach das Bellen direkt hinter sich vernahm, wirbelte sie herum, so daß für den Bruchteil einer Sekunde ihr Gesicht zu sehen war, dann fiel sie auf alle viere und verschwand außer Sicht.
»Ein Hase!« rief ein junger Jäger. »Sie wird sich in einen Hasen verwandeln!«
Und wirklich brach ein Hase aus dem Boden, die schwarzgefärbten Ohren glatt zurückgelegt, den Kopf zurückgeworfen, und jagte den Hügel hinunter auf den Fluß zu.
Verrückt kläffend schossen die Hunde der neuen Spur nach. Doch der Hase gewann immer mehr Abstand.
»Sie wird im Kreis rennen!« brüllte Hugo. »Schneidet sie ab! Jagt sie zurück!«
Alys, die sich mit aller Kraft auf dem springenden Pferd festklammerte, schrie in den Wind: »Nein! Nein! Nein!« Doch Hugo konnte sie nicht hören. Der Jäger blies sein Horn, die Hunde kläfften, und der Hase segelte mit riesigen Sätzen über den Boden, die Augen vor Angst weiß umrandet.
»Sie rennt zum Fluß, Sir!« schrie ein Jäger. Sie kamen der Beute immer näher, aber nicht schnell genug. »Sie wird sich in eins der Löcher flüchten, da kriegen wir sie nie raus.«
»Schneller!« schrie Hugo. »Schneidet ihr den Weg ab! Laßt sie nicht zum Flußufer! Treibt sie in den Fluß!«
Die Hunde rasten los, aber der Hase schlug einen Haken und entzog sich ihrem Zugriff. Die Pferde stolperten und schlitterten den steilen Abhang hinunter, die Reiter trieben sie weiter. Der Hase rannte Richtung Steinbrücke, sie konnten deutlich sehen, wie er über die grauen Felsblöcke jagte. Die Hunde, ein paar Längen hinter ihm, wurden auf den Steinen schneller. Dann machte er einen Satz und warf sich nach links, so daß die Hunde ins Leere schnappten, und tauchte in die tiefe Höhle, die Alys vorhin entdeckt hatte. Jaulend vor Wut warfen sich die Hunde gegen die Öffnung.
»Peitscht sie weg! Peitscht sie weg!« brüllte Hugo. »Sie werden sich verklemmen. Sie wird sie hinunterlocken und einfangen.«
Er sprang vom Pferd und drosch mit zischender Peitsche auf sie ein. Die Hunde wichen zurück, knurrend und aus ihren roten Mäulern triefend, dann trabten sie zu ihrem Jäger. Hugo ging zitternd vor Erregung zum Eingang der Höhle und lugte vorsichtig hinein.
»Abgrundtief«, sagte er. »Für ein Tier würde ich ja da runterklettern, aber nicht für eine Hexe, die sich in einen Hasen verwandelt hat.«
»Was sollen wir machen?« fragte der junge Jäger. Instinktiv drehten sich alle zu Alys. Sie klammerte sich an das Sattelhorn, während das Pferd aufgeregt herumtänzelte, und als sie den Kopf hob, war ihr Gesicht tränenverschmiert.
»Wartet«, sagte sie mit zittriger, schriller Stimme. Donner grollte, und es blitzte über den dunklen, hohen Bergen im Westen. Hugo schaute zu Alys auf.
»Warten?« fragte er. »Was meinst du damit? Warten?«
Alys lachte hysterisch. »Der Sturm«, rief sie. Sie schaute nach Westen. Ein paar fette Regentropfen fielen vom Himmel, dann mehr und immer mehr.
»Und?« fragte Hugo.
»Das Wasser steigt«, sagte Alys. Ihre Stimme zitterte, und dann begann sie zu lachen, konnte vor Lachen nicht mehr reden, während ihr Tränen übers Gesicht liefen. »Das Wasser steigt. Während du hier draußen trockenen Fußes wartest, wartet sie da drin. Und horcht.«
Hugo starrte sie mit offenem Mund an. »Und horcht?« wiederholte er.
»Sie hört das Rauschen des steigenden unterirdischen Sees, das Gurgeln all der kleinen Bäche, die
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