Die weise Frau
Puppen zu sehen.
Hugo sprang vom Pferd und trat gegen die Heidekrautpolster. »Ich kann sie nicht finden«, sagte er. »He, William! Komm und hilf mir, die Dinger zu suchen.«
»Was suchen, Mylord?« fragte William, sprang vom Pferd und führte es am Zügel zu ihm.
»Die Puppen, die Puppen, die die alte Frau in ihrem Sack hatte«, sagte Hugo ungeduldig. »Du hast sie doch gesehen.« Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Ich habe gar nichts gesehen, Mylord«, sagte er. »Ich habe nur die alte Frau wegrennen sehen, und dann sind die Hunde hinter einem Hasen her und haben ihn gestellt.«
Hugo zögerte, wußte nicht, was er sagen sollte, dann lachte er und schlug ihm auf den Rücken. »Steig auf, wir reiten heim«, sagte er und schwang sich ebenfalls in den Sattel. »Bring die Ponys in die Burg zurück.«
»Willst du denn die Puppen nicht suchen?« fragte Alys mit leiser Stimme.
Hugo hob die Schultern und drehte sein Pferd in Richtung Burg. »Wenn sie aus Seife oder Talg sind, schmelzen sie ohnehin rasch«, sagte er. »Vielleicht sind sie von den Pferden zertrampelt worden. Vielleicht waren sie eine Täuschung wie fast alle Hexerei. Sie sind auf geweihtem Boden — was immer das wert ist—, vergessen wir's.«
Alys zögerte kurz und schaute noch einmal zu der Stechpalme. Da war etwas Weißes an der Wurzel. Sie beugte sich vor, um es besser erkennen zu können.
Hugo packte ihre Taille fester. »Gräm dich nicht — laß uns losreiten, es wird gleich in Strömen regnen.«
Er drehte das Pferd, aber Alys konnte den Blick nicht von den Wurzeln der Stechpalme lassen. Da war eine winzigkleine Wurzel, ein Wurm, wie ein kleiner Wachsarm. Sie sah eine winzige verkrüppelte weiße Hand. Sie winkte ihr zu.
»Los!« sagte sie, mit einem Mal ungeduldig.
Hugo riß das Pferd herum, es bäumte sich auf und galoppierte mit weiten Sätzen über das Hochmoor bis zur Furt südlich der Burg.
»Was sollen wir Lady Catherine und deinem Vater erzählen?« fragte Alys, und der Wind riß ihre Worte mit sich.
»Daß Morach in den Fluß gefallen und ertrunken ist. Und wenn das Baby kommt, wirst du es doch zur Welt bringen können, nicht wahr, Alys? Du wirst dich um ihn und Catherine kümmern?«
»Ja«, sagte Alys. »Seit meinem zweiten Lebensjahr war ich bei jeder Geburt dabei, zu der man Morach gerufen hat. Und ich habe selbst schon einige Kinder entbunden. Ich wollte Catherine nicht helfen, solange sie mich gehaßt hat, aber jetzt kann ich es. Ich werde für ihn sorgen, als wäre er mein eigenes Kind.«
Hugo nickte und drückte sie noch fester an sich. »Ich danke dir«, sagte er ganz förmlich.
»Ich werde dich nicht enttäuschen. Ich werde all meine Kräfte darauf verwenden, daß Catherine gesund bleibt. Dein Kind wird geboren werden, und ich werde es gut pflegen. Für dich, Hugo, und für mich. Denn dein Schicksal und deine Freiheit liegen in seiner Hand. Und meine Liebe für dich ist so groß, daß ich möchte, daß du reich und frei bist.«
Hugo nickte, und Alys spürte, daß er lächelte. Sie kuschelte sich in das dicke, weiche Wams und fühlte, wie seine Körperwärme sie durchströmte und sein Arm ihre Taille fester umfaßte.
»Ich habe eine Neuigkeit für dich, die ich mir aufgehoben habe«, sagte sie. Die Lüge floß ihr fast ohne Zögern von den Lippen. »Ich erwarte ein Kind, Hugo«, sagte sie. »Ich werde ein Kind von dir bekommen. Wir haben nur einmal miteinander geschlafen, aber ich habe von dir ein Kind empfangen.«
Hugo schwieg einen Augenblick. »Bist du sicher?« fragte er fassungslos. »Es ist noch ziemlich früh.«
»Es sind schon fast zwei Monate«, verteidigte sich Alys. »Er wird an Weihnachten zur Welt kommen.«
»An Weihnachten!« rief Hugo. »Und du bist sicher, daß es ein Sohn ist?«
»Ja«, sagte Alys im Brustton der Überzeugung. »Der Traum, den ich letztes Jahr beim Weihnachtsfest hatte, war eine wahre Vision. Du und ich, wir werden einen Sohn haben und uns lieben, wie Mann und Frau.«
»Catherine ist meine Frau«, erinnerte er sie. »Und sie trägt meinen Sohn.«
»Aber ich trage auch einen Sohn von dir«, sagte Alys stolz. »Und dein Sohn von mir wird stark und schön sein. Das weiß ich bereits.«
Hugo lachte. »Natürlich«, beschwichtigte er sie. »Meine kluge Alys! Mein schönes Mädchen! Er wird stark und schön und klug sein. Und ich werde dafür sorgen, daß er reich und mächtig wird. Er und sein Halbbruder können Gefährten sein. Wir werden sie zusammen aufziehen.«
Hugo
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