Die weise Frau
Stufe des Schafsgatters und von da aus in den Sattel.
»Das ist ein sehr schönes Pferd«, bemerkte die Äbtissin. »Zu gut für einen Schreiber, hätte ich gedacht.«
»Es ist Lady Catherines Pferd«, sagte Alys hastig. »Sie erwartet ein Kind und kann nicht reiten. Ich darf es reiten, damit es Bewegung bekommt.«
Die Äbtissin nickte bedächtig, und ihr Blick wanderte vom Pferd zu Alys. Einen Augenblick lang lief es Alys eiskalt über den Rücken. Sie war überzeugt, die alte Frau verstand alles, konnte alles sehen. Die Lügen, die Hexerei, die laufenden Wachspuppen, den Mord an Morach und das Bett mit den drei sich windenden, gierigen Leibern. Hugos Gelächter, als er sie seine wollüstige Hure nannte, hallte durch die sonnige Nachmittagsluft.
Mutter Hildebrande sah Alys an, sie lächelte nicht. »Bis morgen«, sagte sie sanft. »Ich glaube, du warst sehr nahe daran, eine sehr schwere Sünde zu begehen. Morgen kannst du mir alles beichten, und mit Gottes Geleit werde ich dir Absolution erteilen.«
»Ich war der Sünde nicht nahe«, hauchte Alys. Sie brachte es fertig, ein ehrliches, klares Lächeln aufzusetzen. »Nicht einmal im entferntesten, Gott sei Lob und Dank!«
Mutter Hildebrande erwiderte ihr Lächeln nicht. Ihr Blick wanderte von dem teuren, eleganten Pferd mit seinem prachtvollen Zaumzeug zu Alys in ihrem roten Gewand mit dem silberbestickten Mieder und ihrem kirschroten Umhang, und die Freude schwand aus ihrem alten Gesicht. Sie wirkte zutiefst betroffen.
»Morgen mittag«, sagte sie streng, drehte sich um und ging in die Hütte.
Alys sah, wie die Tür sich hinter der zerbrechlichen Gestalt schloß, und verweilte noch einen Augenblick. Kein Feuer war zu hören, kein Rauch kam aus dem vergitterten Fenster. Es gab sicher keine trockenen Kienspäne im Haus, vielleicht nur ein oder zwei Strohlichter. Morach hatte womöglich die Zunderbüchse versteckt. Aber selbst wenn sie dagewesen wäre — Mutter Hildebrande hätte nicht gewußt, wie man ein Feuer entzündet.
Alys riß den Kopf der Stute herum. »Los jetzt!« sagte sie verbittert. Sie gab ihr die Hacken in die Seite, das Tier zuckte zusammen und sprang los, so daß Alys fast aus dem Sattel gefallen wäre. » Los jetzt!« sagte sie.
25
Als Alys auf das innere Schloßtor zuritt, kam Eliza die Treppe heruntergestürzt, drängte sich an den Soldaten vorbei und zerrte sie aus dem Sattel.
»Komm sofort mit! Du mußt sofort mitkommen!« sagte sie hektisch. »Catherine hat Schmerzen. Keiner von uns weiß, was zu tun ist! Gott sei Dank bist du wieder da! Sie wollten gerade Soldaten losschicken, um dich zu suchen!«
Alys ließ sich von Eliza über die Zugbrücke zerren, durch die Große Halle und die Treppe zur Frauengalerie hinauf.
Diener liefen mit Tabletts aus und ein. Laken wurden vor dem Feuer gelüftet. Jemand hatte Hugos Jagdhund in das Zimmer gelassen, er knurrte, als er Alys sah. Zwei Lakaien kämpften sich mit der Badewanne die Treppe hoch, zwei weitere folgten ihnen mit Eimern voll heißem Wasser.
»Sie hat gesagt, sie will baden«, sagte Eliza. »Sie wollte wieder von dir gebadet werden, so wie gestern. Dann bekam sie mit einem Mal Schmerzen. Sie ist auf und ab gelaufen, um sie zu lindern. Wir haben sie dazu gebracht, sich hinzulegen. Hugo ist auch gerade erst gekommen, wir hatten schon Angst, ihr wäret zusammen und würdet den ganzen Tag wegbleiben. David ist gerade los, um Lord Hugh zu informieren. Catherine ist in ihrem Schlafzimmer — geh zu ihr, Alys! Geh zu ihr!«
Alys klatschte in die Hände. »Raus hier!« brüllte sie. All ihre Wut, Angst und Enttäuschung machten sich in einem Wutanfall Luft. »Raus hier, ihr nutzlosen Holzköpfe!« schrie sie. Sie packte einen Diener bei den Schultern, drehte ihn um und stieß ihn zur Tür hinaus. Er taumelte zur Treppe und stieß mit einem anderen zusammen, der gerade mit zusätzlichen Laken die Treppe hinaufkam. Alys zerrte einen anderen am Ohr aus dem Zimmer. Eine der Mägde kicherte hilflos über das Chaos. Alys gab ihr eine schallende Ohrfeige und beobachtete mit boshafter Freude, wie sich ihre Finger rot auf dem Gesicht des Mädchens abzeichneten.
»Und jetzt raus hier!« sagte Alys zu allen. »Ich werde euch rufen, wenn ich eine von euch brauche.«
Alles drängte sich in Panik zur Galerietür, und Alys schritt auf Catherines Schlafzimmer zu.
Hugo stand am Kopfende des Bettes und hielt Catherines Hände. Ruth, Mistress Allingham und Margery standen auf der anderen Seite des Bettes.
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