Die weise Frau
wäre, würde ich dich selbst nehmen. Aber glaube ja nicht, daß jene Dinge aufgrund einer Laune, der Freude an einem Gesicht oder aufgrund einer lustvollen Nacht entschieden werden. Nicht einmal der König verläßt sich dabei auf seine Gelüste. Es ist eine politische Entscheidung, immer. Die Jagd nach Erben, die Jagd nach neuen Verbindungen. Macht schaffen, Macht festigen. Frauen sind nur die Bauern bei diesem Schachspiel. Hugo weiß genausogut wie ich, daß die nächste Heirat uns Vorteil bringen muß. Wir brauchen die Verbindung mit einer aufsteigenden Familie aus dem Südosten — jemand, der dem König nahesteht. Hugo hat recht — der König wird immer mehr zum Herzstück von Macht und Reichtum. Wir brauchen eine Familie, die bei Hof hoch in der Gunst steht.«
Alys setzte ihr Glas ab. »Und habt Ihr schon jemanden im Sinn?« fragte sie verbittert.
»Ich habe drei!« sagte der alte Lord triumphierend. »Die Familie de Bercy, sie haben ein Mädchen mit zwölf, das sie uns überlassen würden, die Beause — das Mädchen ist zu jung, erst neun -, aber wenn sie groß und weit entwickelt ist für ihr Alter, könnte sie in Frage kommen. Und die Mumsetts — die haben ein Mädchen von zwanzig am Hals, dessen Ehevertrag in die Brüche gegangen ist. Sie hat das richtige Alter für Hugo. Ich muß herausfinden, warum ihre Verlobung geplatzt ist, aber sie könnte passen.«
Der Wein breitete sich in Alys' Körper aus wie Verzweiflung. »Das hab ich nicht gewußt«, sagte sie benommen. »Ihr habt mir nie davon erzählt. Ihr habt ihnen nie geschrieben. Ihr habt nie Briefe von ihnen bekommen. Ich hab es nicht gewußt. Wie habt Ihr diese Arrangements gemacht? Ich hab nie für Euch etwas darüber geschrieben.«
Lord Hugh kicherte. »Glaubst du denn, du hättest alle Briefe gesehen?« fragte er. »Hast du geglaubt, David würde nicht für mich schreiben, in Lateinisch und Englisch und Italienisch und Französisch auch? Hast du gedacht, Hugo schreibt nie für mich? Hast du etwa gedacht, ich würde nicht selbst schreiben, wenn eine Sache sehr, sehr geheim ist, und sie dann mit einer Taube mit eigenen Händen losschicken, damit es keiner weiß, außer mir und einem klugen, stummen Vogel?«
Alys schüttelte den Kopf. »Ich dachte, Ihr würdet allein mir vertrauen«, sagte sie. »Ich dachte, ich würde Eurem Herzen nahestehen.«
Der alte Lord sah sie mitleidig an. »Und dich haben sie weise Frau genannt!« neckte er sie. »Du bist eine Närrin, Alys.«
Sie beugte den Kopf.
»Was wird aus mir werden?« fragte sie.
»Ich werde dich als Sekretär behalten«, bot ihr der alte Lord an. »Es wird immer einen Platz für dich in meiner Großen Halle geben. Du wirst dein Kind die ersten zwei Jahre ernähren. Vorher werde ich ihn dir nicht wegnehmen. Wenn er seine ersten Schritte macht, werde ich ihn adoptieren, und dann kannst du machen, was du willst.«
»Ich kann hier bleiben?« fragte Alys.
»Als seine Amme, wenn du deine Zunge hütest. Solange Hugos neue Frau nichts dagegen hat. Sie wird die Erziehung deines Sohnes übernehmen. Er wird als ihr Kind aufwachsen.«
»Sie bekommt das Schloß und Hugo und den Sohn«, stotterte Alys. »Dieses Mädchen, das Ihr nicht einmal kennt. Sie bekommt Hugo und das Schloß und meinen Sohn, und ich bekomme nichts.«
Lord Hugh nickte. »Ich könnte dich nach Frankreich in ein Nonnenkloster schicken, wenn das Kind von dir entwöhnt ist«, bot er ihr an. »Ich werde dir eine Mitgift und den Namen eines toten Mannes geben. Du könntest als Witwe ins Kloster gehen.«
»Ich habe meinen Glauben verloren«, sagte Alys mit soviel Würde, wie sie noch aufbringen konnte. »In diesem Schloß bin ich Schritt für Schritt der Sünde verfallen und habe den Rest Glauben, den ich noch hatte, verloren. Das Leben, das ich hier geführt habe, hätte einem Heiligen den Glauben geraubt.«
Der alte Lord lachte kurz. »Verzeih mir«, sagte er. »Ich bin nur ein Laie, ich kann solche Dinge nicht beurteilen. Sicherlich hätte das Leben, das du hier gelebt hast, einen Heiligen auf die Probe gestellt. Es wäre ein guter Test für ein Heiligenküken gewesen.«
Alys beugte den Kopf vor seinem Spott.
»Dir bleibt aber immer noch deine letzte Zuflucht«, sagte er lachend.
Alys sah ihn verwirrt an.
»Catherine!« sagte er und platzte vor Lachen. Er ignorierte Alys, die erstarrt am Tisch saß. Schließlich verstummte er und wischte sich die Augen. »Was für eine Zuflucht, meine Kleine!« sagte er. »Aber du hättest es
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