Die weise Frau
legte ihre Arme um Catherine und ließ es zu, daß die Frau ihren Kopf auf Alys' abweisende Schulter legte. Dann trat Alys zurück, zog die Decken hoch und machte es Catherine im Bett bequem.
»Ich werde dem Mädchen sagen, sie soll Euer Bett frisch beziehen«, sagte Alys.
Catherine strahlte sie an. »Wie du dich um mich sorgst, Alys!« sagte sie voller Dankbarkeit.
Auf dem Weg zu Lord Hughs Gemach schaute Alys kurz durch die Schießscharten im Turm. Die hochgelegenen Hügel des Moores schimmerten wie violetter Dunst im grellen Sonnenlicht. Die Luft zog klar und frisch durch jede Schießscharte, so daß Alys auf der Wendeltreppe von scharfer Moorluft in die abgestandenen Gerüche der Burg kam. Kein Reisender war auf der Straße zu sehen. Nichts bewegte sich.
Am letzten Fenster atmete sie erleichtert auf, ehe sie das Zimmer des alten Lords betrat.
Er trug einen leichten Sommerrock und saß in seinem Stuhl vor einem kleinen Feuer. Das Zimmer war voller Leute. Hugo war da, und als Alys die Tür öffnete, lachte er gerade über einen Scherz, und sie sah, wie er den Kopf zurückwarf. Sein Gesicht strahlte unbekümmert. Als er ihrer ansichtig wurde, blinzelte er sie an, ging auf sie zu und zog sie in den Raum. Ihre Fingerspitzen berührten sich, und beide spürten ein leichtes Kribbeln in Erinnerung an die letzte Nacht. »Einen schönen guten Tag, meine Alys«, sagte Hugo liebevoll.
Hinter Hugo stand Pater Stephen, noch im Reisemantel, dünner und fanatischer als zuvor. David hielt eine Rolle handgeschriebener Briefe.
»Ah, Alys«, sagte Lord Hugh leutselig. »Herein mit dir, herein. Unser guter Stephen hat wunderbare Neuigkeiten. Er ist zum Archidiakon berufen worden! Du mußt ihm gratulieren.«
»Das tu ich von ganzem Herzen«, sagte Alys. Sie reichte Stephen die Hand. »Ich kann mir keinen besseren Mann für diese Aufgabe vorstellen.«
Stephen beugte sich kurz über ihre Hand. Seine Augen flatterten von ihrem Gesicht zu ihrem Bauch. Er hatte Gerüchte gehört, daß Alys ein Kind von Hugo erwartete. Jetzt sah er den Beweis.
»Ich habe vieles zu erledigen«, sagte der alte Lord. »Stephen, werdet Ihr Euer altes Quartier wieder nehmen? Und heute nach dem Essen mit mir plaudern?«
»Bestimmt, Mylord«, sagte Stephen.
»Dann laßt uns jetzt ausreiten«, sagte Hugo. »Wir können die Hunde mitnehmen und rauf ins Moor reiten, ein bißchen Fleisch holen.«
Stephen grinste. »Immer noch auf der Jagd, Hugo? Irgendeine Beute gibt's wohl immer.«
Der Witz war nicht für dritte gemeint. Beide Männer grinsten wie Schuljungen. »Jetzt wird nicht gepredigt«, sagte Hugo. »Nicht an deinem ersten Tag bei uns!«
Stephen nickte lachend. Sie verließen den Raum. David folgte ihnen gelassen und schloß die Tür hinter sich.
Alys machte es sich am Tisch neben dem Fenster bequem, strich das blaue Kleid glatt, drehte den Kopf und lächelte.
»Du siehst sehr zufrieden aus«, sagte der alte Lord wohlwollend.
»Ich habe mich mit Catherine unterhalten«, sagte Alys. »Ich glaube, ich habe Euch einen guten Dienst erwiesen.«
Er wartete mit hochgezogener Augenbraue.
»Wenn Ihr ihr einen Gutshof von angemessener Größe überschreibt und ihr eine Pension aussetzt, kann ich sie überreden, die Annullierung ohne Einwände zu akzeptieren«, sagte Alys mit ruhiger Stimme. »Sie ist bereit, sofort zu gehen.«
»Jesus steh uns bei!« rief der alte Lord. Er richtete sich mit Hilfe seines Stockes auf und ging um seinen Stuhl herum. »Warum? warum sollte sie Hugo jetzt aufgeben, nachdem sie sich all die Jahre an ihn geklammert hat?«
»Die Fehlgeburt hat sie schwer getroffen, und sie hat heute ununterbrochen geweint. Sie fühlt Euren Zorn und Hugos Ablehnung. Sie möchte Euch eine Freude machen, und sie will weg von hier. Sie weiß, daß sie unfruchtbar ist und gehen muß.«
»Ich dachte immer, wir müßten ihr Hugo mit Gewalt entreißen.«
Alys beugte den Kopf mit einem selbstzufriedenen Lächeln, »Ich habe — versprochen, bei ihr zu leben, falls ich hier weggehe«, sagte Alys.
Der alte Lord nickte. »Und damit war sie zufrieden?«
»Sie glaubt, daß Hugo eine andere Frau von weit her nehmen wird«, sagte Alys. »Sie weiß nicht, daß ich Hugos Kind unter dem Herzen trage. Sie ist eine Närrin. Ihre eigenen Sorgen und Ängste haben sie blind gemacht. Selbst ihre Hofdamen wagen nicht, ihr zu erzählen, daß ich Hugos Kind erwarte. Sie ist so selbstsüchtig, so verstrickt in ihre eigenen Bedürfnisse, daß sie mich gar nicht
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