Die weise Frau
auszuräuchern — ohne jede Rücksichtnahme. Die Soldaten wollten nur ihren Spaß haben, und ein paar dachten, sie würden Pater Stephen einen Gefallen tun. Sie machten ihr Feuer zu nahe am Heuschober, und dann ist das Feuer übergesprungen, und alle Frauen sind gestorben. Schlimme Sache.«
Alys holte tief Luft, um nicht die Haltung zu verlieren.
»Keine von ihnen ist entkommen«, sagte Lord Hugh. »Eine schlimme Sache. Hugo hat mir erzählt, daß man sie schreien hörte, und dann hat es fürchterlich nach verbranntem Fleisch gestunken. Wie in einer Küche mit einem wütenden Koch, hat er gesagt.«
»Sollen diese Briefe heute abgeschickt werden, Mylord?« fragte Alys. Ihre Hand, die die Kerze unter das Siegelwachs hielt, zitterte erbärmlich, und sie verkleckerte das Siegel.
Nachmittags, wenn der alte Lord ruhte, sollte sie in der Damengalerie der großen Halle sitzen und nähen. Es war ein schöner Raum, der beste im Schloß. Ein breites Erkerfenster mit bunten Scheiben aus normannischem Glas gab den Blick auf den Schloßhof frei. Die Deckenbalken waren bunt bemalt. An den Wänden hingen farbenfrohe Gobelins, und die noch sichtbare Täfelung war mit Weizengarben, fetten Lämmern, Fruchtbündeln und sonstigen Waren bestickt, eine Erinnerung an den Reichtum der Lords von Castleton. Der Türstock war in schwerem Faltwerk geschnitzt, das sich durch das ganze Zimmer wiederholte, bis zu der Fensterbank im Erker, wo Catherine mit einer auserwählten vertrauten sitzen konnte, ohne von den anderen gehört zu werden. Der Kamin arbeitete so gut wie der im Nonnenkloster, mit einem eckigen, aus Stein gemeißelten Abzug, so daß die Luft rauchfrei und die Wände sauber blieben. Der Boden hatte den dunklen Schimmer gealterten, polierten Holzes und war mit frischen Kräutern bestreut, die, zusammengefegt von den Gewändern der Frauen, kleine Haufen bildeten. Es war ein langgezogener Raum, Dreiviertel der Länge der großen Halle darunter. Catherines Gemach war am hinteren Ende links, mit Blick auf den Hof. Die Frauen schliefen gegenüber, mit Aussicht auf den Fluß durch Schießscharten, durch die es oft zog und manchmal, wenn der Wind ungünstig stand, sogar hereinschneite. Daneben gab es noch ein kleines Zimmer für Feuerholz, in dem ein gebrochener Webstuhl stand.
Den Winter und viele kalte Herbsttage verbrachten die Frauen alle Stunden vom Frühstück bis zum Einbruch der Dunkelheit in diesen vier Wänden. Ihre einzige körperliche Betätigung war der Weg über die breite, flache Treppe von der Galerie in die Halle, wo die gemeinsamen Mahlzeiten stattfanden. Ihre einzige Beschäftigung war dann, in der Galerie herumzusitzen und zu nähen, zu lesen, Briefe zu schreiben, zu weben, zu singen oder zu streiten.
Alys gab vor, sie hätte zusätzliche Arbeit für Lord Hugh zu erledigen, und blieb fern, so oft sie konnte. Sie haßte das geheimnisvolle, obszöne Getratsche der Frauen, und sie fürchtete Lady Catherine, die Alys zwar nie bedrohte oder auch nur ansprach, aber alle Frauen ständig beobachtete. Der Raum knisterte vor unausgesprochenen, endlosen Rivalitäten. In den langen Stunden zwischen dem Mittagsmahl und dem Abendessen, das bei Einbruch der Dämmerung gereicht wurde, wenn Hugo auf der Jagd war oder mit seinem Vater zu Gericht saß oder unterwegs war, um seine Mieten einzutreiben oder die Ländereien zu inspizieren, war die Unterhaltung der Frauen zumeist freundlich. Aber sobald Hugos schnelle Schritte auf den Steintreppen ertönten, rückten die Frauen ihre Hauben zurecht, glätteten ihre Gewänder und musterten sich gegenseitig, verglichen ihr Aussehen.
Alys hielt den Blick stets gesenkt. Es gab immer etwas zu nähen in der Damengalerie. Einen endlosen Teppich mit zwölf Paneelen, den Lady Catherines längst verstorbene Mutter begonnen und ihrer Tochter vererbt hatte. Alys richtete stur den Blick auf ihre Hände und stickte wie besessen, sobald Hugo in die Galerie trat. Seit ihrer ersten Begegnung hatte Alys ihm nie wieder direkt in die Augen gesehen. Wenn er eintrat, verließ Alys den Raum, und wenn sie ihm auf der Treppe begegnete, drückte sie sich gegen die kalten Steine, hielt die Augen niedergeschlagen und betete, er möge sie nicht bemerken. Wenn er in der Nähe war, spürte Alys seine Gegenwart wie einen Luftzug auf ihrer Haut. Wenn sich hinter ihr eine Tür schloß, wußte sie, selbst wenn sie nicht in ihrem Blickwinkel lag, ob er es war, der gerade gegangen war. Sie war versucht, ihn anzusehen, ihr
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