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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Blick war magisch von ihm angezogen. Es faszinierte sie zu bemerken, ob sein Gesicht finster und verschlossen war oder ob es freudig strahlte. Aber sie wußte, daß Lady Catherines Blick über ihnen allen kreiste wie der eines Wächters auf einem Wachturm, sobald Hugo den Raum betrat. Wenn er auch nur das geringste Interesse an irgendeiner Frau zeigte, bemerkte es Catherine, und diejenige hatte das später teuer zu bezahlen. Alys fürchtete Lady Catherines unerbittliche Eifersucht, sie fürchtete die Intrigen im Schloß und die geheime, unausgesprochene Rivalität in der Damengalerie.
    Und sie fürchtete um ihre Gelübde. Mehr als alles andere fürchtete sie um ihre Gelübde.
    Einmal blieb er stehen, als er leichtfüßig die Treppe hinaufkam, die Alys gerade herunterging, legte einen Finger unter ihr Kinn und drehte ihr Gesicht dem Licht zu, das durch die Schießscharte fiel.
    »Du bist schön«, sagte er. Sein Blick war prüfend, wie der eines Roßhändlers, der die Ware nach Makeln untersucht. »Dein Haar wächst golden nach.«
    Alys hatte jetzt kurze goldbraune Locken, noch nicht lang genug, um sie hochzustecken, also trug sie ihr Haar offen wie ein Kind.
    »Wie alt bist du?« fragte er.
    Sie spürte sein plötzliches Interesse, fast konnte sie es riechen.
    »Vierzehn«, sagte sie.
    »Du lügst«, erwiderte er gelassen. »Also?«
    »Sechzehn«, sagte sie eintönig. Ihr wachsamer Blick war starr auf sein Gesicht gerichtet.
    Er nickte. »Alt genug«, sagte er. »Komm heute nacht in mein Gemach«, sagte er plötzlich. »Um Mitternacht.«
    Alys' blasses Gesicht und ihre blauen Augen zeigten keinerlei Regung.
    »Hast du mich gehört?« fragte er, etwas überrascht.
    »Ja, Mylord«, sagte Alys bedächtig. »Ich habe Euch gehört.«
    »Und du weißt, wo mein Gemach ist?« fragte er, als könnte das das einzige Hindernis sein. »Im runden Turm, im Stockwerk über meinem Vater. Wenn du heute abend seine Gemächer verläßt, geh die Treppe hinauf anstatt nach unten in die Halle. Ich werde ein bißchen Wein für dich haben, kleine Alys, und ein paar Leckereien und sanfte Spiele.«
    Alys sagte nichts, stand mit niedergeschlagenen Augen da. Sie spürte ihre heißen Wangen und das Pochen ihres Herzens.
    »Weißt du, woran du mich erinnerst?« fragte Hugo.
    »Woran?« fragte Alys, die Neugier ließ ihr doch keine Ruhe.
    »An frischen Rahm«, sagte er ganz ernst.
    Alys' Augen waren plötzlich weit geöffnet. »Warum?« fragte sie.
    »Jedesmal, wenn ich dich sehe, kann ich nur noch an frischen Rahm denken. Mein einziger Gedanke ist, Rahm über deinen ganzen Körper zu gießen und ihn abzulecken«, sagte er.
    Alys wich erschrocken zurück, als könnte seine Berührung sie verbrennen. Er lachte über ihren Blick.
    »Das wäre also geregelt«, sagte er zuversichtlich. Er lächelte sie an, mit einem herzerweichenden, fröhlichen Lächeln, drehte sich um und lief vergnügt die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Sie hörte, wie er ein Lied pfiff, fröhlich wie ein Rotkehlchen im Winter.
    Alys lehnte sich gegen die kalten Steine, ohne ihre Kälte zu spüren. Sie fühlte Sehnsucht, heiß, gefährlich und erregend, in jeder Faser ihres Körpers. Sie biß sich in die Unterlippe, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. »Nein«, sagte sie streng. Aber ihre Wangen glühten.
    Alys wußte, daß sie Morach unbedingt sehen mußte, und an diesem Nachmittag ergab sich die Chance dazu. Lord Hugh wollte eine Botschaft nach Bowes Castle schicken. Alys bot sich an, sie zu überbringen.
    »Wenn ich aufgehalten werde, bleibe ich die Nacht bei meiner Verwandten «, sagte sie. »Ich möchte gern ein wenig bei ihr bleiben, und ich brauche ein paar Kräuter.«
    Der alte Lord sah sie an und lächelte bedächtig. »Aber du wirst zurückkommen«, sagte er.
    Alys nickte. »Ihr wißt doch, daß ich zurückkomme«, sagte sie. »Ich habe das Leben im Moor hinter mir gelassen. Das Leben scheint mir wie eine Reise durch Kammern, deren Türen sich hinter mir schließen. Sobald ich etwas Sicherheit gefunden habe, muß ich weiterziehen, und das alte Leben wird mir weggenommen.«
    Er nickte. »Am besten, du suchst dir einen Mann und schließt die Türen endgültig, die vor dir und auch die hinter dir«, sagte er.
    Alys schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht heiraten«, sagte sie.
    »Wegen deines Gelübdes?« fragte er.
    »Ja...«, begann Alys und schluckte dann die Worte hinunter. »Ich habe kein Gelübde abgelegt, Mylord«, sagte sie schnell.

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