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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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besuchen. Ich könnte heute nacht bei ihr bleiben. Sie wird mir raten.«
    Er nickte und ließ den Kopf gegen die Stuhllehne fallen, als wäre er plötzlich ermattet. Alys ging lautlos zur Tür. Sie legte die Hand auf die Klinke und schaute sich noch einmal um. Er beobachtete sie durch halbgeschlossene Lider.
    »Vergifte ihn nicht«, sagte er barsch. »Keinen von deinen verfluchten Gebräuen, um seine Lust zu dämmen. Er muß einen Sohn zeugen, er braucht all seine Manneskraft. Ich werde ihm sagen, er soll sich an seine Frau halten, wenn ihn die Lust überkommt. Unter meinem Schutz bist du sicher. Und ich werde mein Versprechen halten und dafür sorgen, daß du hinter sichere Mauern kommst, wenn deine Arbeit hier erledigt ist.«
    Alys nickte. »Und wann wäre das, Mylord?« fragte sie leise, bemüht, ihre Angst nicht zu zeigen.
    Lord Hugh gähnte. »Wenn diese verfluchte Ehegeschichte geregelt ist, denke ich«, sagte er achtlos. »Wenn ich dieses zänkische Weib los bin und Hugo eine neue fruchtbare Schwiegertochter ins Bett gelegt habe. Bis ich klar sehe, mußt du insgeheim für mich arbeiten, aber danach brauche ich dich nicht mehr. Wenn du mir in dieser einen Sache gut dienst, bringe ich dich wieder hinter Klostermauern.«
    Alys holte tief Luft. »Ich danke Euch«, sagte sie gelassen und verließ das Zimmer. Draußen vor der Tür blieb sie stehen, lehnte sich gegen die Wand und schaute aus der Schießscharte. Der Wind, der hereinblies, trug die Kälte des Moores mit sich. Das erste Mal seit Monaten erwachte in Alys' Herz wieder Hoffnung. Der erste Schritt auf dem Weg nach Hause war getan.
    Sie lieh sich von Eliza Herring ein fettes Pony, um nach Bowes zu reiten. Sie war sich sicher, mit dem überfressenen alten Tier fertig zu werden, als sie dahinritt, das rote Kleid über die Beine heruntergezogen, begleitet von einem Stalljungen aus dem Schloß, der neben ihr herlief. Das Pony tastete sich vorsichtig durch die dreckige, nasse Straße, und ein paar Türen öffneten sich einen Spalt, um sie zu beäugen, und gelegentlich prasselte eine Handvoll Steine gegen die Wand hinter ihr. Sie nickte. Im Dorf hatte sie keine Freunde. Man hatte sie als weise Frau gefürchtet, und jetzt würde man sie als neue Hure des Lords verachten, ein Dorfmädchen, das den höchsten Rang in ihrer kleinen Welt erreicht hatte.
    Den Brief ließ sie beim Steward des Schlosses, wohl wissend, daß er die lateinischen Worte nicht lesen konnte, selbst wenn er ihn öffnete. Sie befahl dem Burschen, in Lord Hughs Schloß zurückzukehren, da sie jetzt bedenkenlos allein weiterreiten konnte. Die Straße von Castleton nach Bowes und weiter nach Penrith führte über trockenen Boden entlang der Ausläufer des Moores. Alys blickte über den Hügel, der sich aus dem Tal von Bowes erhob, wo das blasse Band der Straße das Land von Osten nach Westen wie ein mit dem Lineal gezogener Strich durchschnitt. Es war kein Verkehr in diesem ungastlichen Landstrich. Reisende, die ihn passieren mußten, warteten zu beiden Seiten des Moores, bei Castleton oder in Penrith, damit sie in Gruppen reisen und sich gegenseitig beschützen konnten. Es gab viele wilde Tiere — Eber und Wölfe und angeblich auch Bären. Im Winter brauten sich oft plötzlich Schneestürme zusammen, denen man schutzlos ausgeliefert war. Das Schlimmste aber waren Räuber und Moorbanden, herumstreifende Schotten, kräftige Bettler und Vagabunden.
    Alys ließ die Straße links liegen und lenkte das Pony auf den schmalen Schafspfad, der sich von Bowes den Greta entlangzog, durch dichte Laubwälder, in denen still die Rehe ästen. Hier war der Fluß breit und glitt gemächlich in seinem weitläufigen, steinigen Bett dahin. Unter den Steinen strömte ein tieferer, geheimer Fluß, ein riesiger unterirdischer See, bevölkert von Fischen, die die dunklen Tiefen bevorzugten. Selbst zu Pferd spürte Alys die Kraft des unterirdischen Wassers in den geheimen Grotten.
    Das Pony trat aus dem Schutz der Bäume, leicht schnaufend, und begann den Aufstieg über karges Weideland, auf dem nur Schafe Nahrung fanden und vielleicht ein paar ausgemergelte Kühe, Richtung Moor. Bevor die Pest nach Bowes gekommen war und es noch mehr Arbeiter gab, hatte jemand die Weiden mit Steinmauern voneinander abgegrenzt. Die Mauern waren jetzt eingestürzt, und die Schafe konnten gehen, wohin sie wollten. Beim Scheren im Sommer und beim Schlachten im Winter wurden sie nach den Zeichen auf ihren Fellen aussortiert. Jedes Dorf hatte

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