Die weise Frau
»Ich bin nur eine von den Frauen, die es nicht erträgt, das Bett mit einem Mann zu teilen. Das gehört zur Kräuterkunde. Die Morach lebt auch allein.«
Lord Hugh hustete und spuckte in die Richtung des Feuers, das in einer Ecke des Zimmers brannte und dessen Rauch durch die Schießscharte nach draußen zog. »Ich habe schon vor einiger Zeit erkannt, daß du eine flüchtige Nonne bist«, sagte er freundlich. »Dein Latein ist in weltlichen Dingen sehr schwach, sehr stark aber, wenn es um heilige Texte geht. Dein Kopf war geschoren, und du hast Appetit — wie alle Nonnen — auf die besten Dinge.« Sein Lachen war barsch. »Hast du wirklich geglaubt, Schwester Blauauge, ich sehe nicht, wie du die feine Wäsche streichelst, wie sehr du das Licht der Wachskerzen liebst, wie stolz du auf dein rotes Kleid bist und wie du das Funkeln des Lichtes in den Silberfäden beobachtest?«
Alys sagte nichts. Ihr Puls raste, aber ihr Gesicht blieb ruhig.
»Bei mir bist du sicher«, sagte Lord Hugh. »Pater Stephen ist ein fanatischer Reformer, ein heiliger Mann. Hugo liebt die neue Kirche, weil er den Profit sieht, der dadurch zu machen ist: die Reduzierung der Fürstbischöfe, Strafgelder von den Klosterländereien, die Macht, die wir jetzt unser nennen können — wir Adeligen, die wir mit der Krone arbeiten —, und die Verstoßung der geistigen Fürsten.«
Er unterbrach sich und warf ihr ein kurzes Lächeln zu. »Aber ich bin vorsichtig«, sagte er langsam. »Diese Umschwünge können öfter im Leben passieren. Es ist mir egal, ob in einer Kirche ein oder zwei Bilder hängen, ob ich Fisch oder Fleisch esse, ob ich auf lateinisch zu Gott bete oder auf englisch. Das einzige, was zählt, ist die Lordschaft von Castleton und wie wir sie heil durch diese wechselvollen Jahre bringen. Ich werde dich nicht verraten. Ich werde nicht darauf bestehen, den Treueeid auf den König aus deinem Mund zu hören. Ich werde dir nicht die Kleider vom Leib reißen und dich auspeitschen lassen und dich, wenn du versagst, den Soldaten für ihre Spielchen überlassen.«
Alys hörte kaum, wie er sie begnadigte.
»Oder zumindest noch nicht«, verbesserte sich der alte Lord. »Nicht, solange du nicht vergißt, daß du mir gehörst. Mein Diener. Mein Vasall.«
Alys beugte den Kopf, um zu zeigen, daß sie zuhörte. Sie sagte aber nichts.
»Und wenn du mir gut dienst, werde ich dich beschützen, vielleicht schmuggle ich dich sogar aus dem Land, in ein Kloster nach Frankreich. Wie wäre das?«
Alys legte eine Hand an ihren Halsansatz. Sie spürte, wie ihr Puls unter der Hand raste. »Wie Ihr wünscht, Mylord«, sagte sie ruhig. »Ich bin Eure Dienerin.«
»Wäre ein Kloster in Frankreich nach deinem Geschmack?« fragte der alte Lord freundlich.
Alys nickte hoffnungsfroh.
»Ich könnte dich nach Frankreich schicken, ich könnte dir sicheres Geleit für deine Reise garantieren, dir ein Empfehlungsschreiben für eine Äbtissin geben, ihr die Gefahr schildern, in der du dich befindest, und ihr sagen, daß du eine wahre Tochter der Kirche bist«, sagte der alte Lord. »Ich könnte dir eine Mitgift geben, die du mit ins Kloster nehmen könntest. Wäre deine Loyalität damit zu kaufen?«
»Ich bin Eure treue Dienerin«, sagte Alys atemlos. »Aber ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr mich in ein neues Zuhause im Ausland schickt.«
Der alte Lord nickte, ließ sie aber nicht aus den Augen. »Und du wirst mir bis dahin treu und redlich dienen, als Bezahlung für deine Überfahrt«, sagte er.
Alys nickte. »Was immer Ihr befehlt.«
»Du solltest wahrscheinlich unberührt bleiben. Sonst nehmen dich die Nonnen nicht. Hat Hugo denn schon an deinen Röcken gezupft?«
»Ja«, sagte Alys ohne Umschweife.
»Was hast du ihm gesagt?«
»Nichts habe ich gesagt.«
Der alte Lord lachte. »So machst du das also, meine kleine, schlaue Füchsin. Er soll ruhig glauben, daß er dich kriegen kann, und ich soll denken, daß du dich meinen Interessen verschworen hast, während du still vergnügt deinem ketzerischen Glauben folgst oder deinen geheimnisvollen Künsten oder dem, was dir paßt, was keines von beiden ist, nicht wahr?«
Alys schüttelte den Kopf. »Nein, Mylord«, sagte sie leise. »Ich möchte in ein Nonnenkloster. Ich möchte mein Gelübde erneuern. Ich mache alles, was Ihr verlangt, wenn Ihr dafür sorgt, daß ich in die Obhut eines Ordens komme.«
»Brauchst du Schutz gegen meinen Sohn?«
Alys schüttelte langsam den Kopf. »Ich möchte meine Verwandte
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