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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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raffte die drei Puppen in ihrem Schoß zusammen.
    »Der Zauber ist vollbracht«, sagte sie zu ihnen. »Und ihr habt es euch nur selbst zuzuschreiben. Das ist das Schicksal, das ihr euch ersehnt habt, oder das Schicksal, das ihr mich gezwungen habt, für euch zu bestimmen. Der Zauber ist vollbracht, und er wird noch heute anfangen zu wirken.«
    Sie steckte die drei wieder in ihren Beutel und rutschte vom Stuhl zum Stein vor dem Feuer. Sie zog den Mantel fest um sich und schloß die Augen. Sekunden später schlief sie tief und fest.
    Als der Tag anbrach, die Hähne krähten und die Tiere riefen und dann die Menschen erwachten, schlief Alys weiter. Sie schlief ohne Träume, an die sie sich hätte erinnern können. Aber die ganze Nacht und den ganzen Morgen lang quollen Tränen in unaufhaltsamer Flut unter ihren geschlossenen Lidern hervor. Und ihre Hände blieben zu Fäusten geballt, mit dem Daumen zwischen dem zweiten und dem dritten Finger, das alte, wirkungsvolle Zeichen gegen Hexerei.
    Als der Bäckerjunge kurz nach Morgengrauen hereinkam, um das Feuer zu schüren, fand er sie dort, das goldene Haar in die Asche gedrückt, und als er sie wach schüttelte und sie sich aufsetzte, klebte die Asche immer noch an ihr, so daß sie aussah wie Morach, eine alte Frau mit einer wilden grauen Mähne. Ihr Gesicht war schmutzig, und in der schwachen Morgenröte sahen die Flecken aus wie die harten Falten jahrelanger Sehnsucht ohne Befriedigungen. Der Bäckerjunge hatte Alys nie zuvor gesehen und wich erschrocken vor ihr zurück.
    »Bitte verzeiht mir, edle Dame!« sagte er hastig, und als sie sich aufrichtete, ergriff er die Flucht und rannte in den Hof, wo die Burg im grauen Morgenlicht eisig und weiß in den Himmel ragte.
    Alys folgte ihm durch die offene Tür bis zum Brunnen in der Mitte des Hofes. Sie winkte mit dem Finger. »Zieh mir Wasser herauf«, sagte sie mit heiserer Stimme.
    Der Junge kam verängstigt näher, hielt sich aber außer Reichweite. »Versprecht Ihr, mich nicht zu verhexen?« sagte er.
    Alys lachte bitter, räusperte sich und spuckte. Dann sah sie ihn an, und ihre blauen Augen funkelten vor Bosheit. »Diesmal auf jeden Fall nicht.«
    Der Junge zitterte, kam aber näher und ließ den Eimer nach unten. Dreimal mußte er ihn fallen lassen, ehe er das Eis im Brunnen durchbrach. Dann zog er ihn, bis zum Rande gefüllt, herauf. Alys tauchte die Hände ein und trank gierig.
    »Jetzt geh an die Arbeit«, sagte sie. »Aber erzähl keinem, daß du mich gesehen hast.«
    »Das werd ich nicht, Lady! Ganz bestimmt nicht«, versprach der Junge eifrig.
    Alys sah ihn an, bis er vor Angst immer kleiner wurde. »Ich werde es erfahren, wenn du es tust«, sagte sie mit Nachdruck. Dann wandte sie sich ab und ging erschöpft ins Damengemach, um sich zu waschen, das Kleid zu wechseln und sich zu kämmen. Der Beutel mit den drei Wachspuppen schlug bei jedem Schritt gegen ihren Schenkel.
    Eliza stürzte sich auf sie, kaum daß sie durch die Tür war, dicht gefolgt von den anderen.
    »Wo warst du? Du warst die ganze Nacht draußen!« rief Eliza. Dann, als Alys etwas sagen wollte, warf sie ungeduldig ein: »Aber das spielt ja keine Rolle. Das spielt alles keine Rolle! Du wirst nie erraten, was hier passiert ist. Die ganze Nacht! Die ganze Nacht!«
    Die anderen Frauen, mit glänzenden Augen und halb hysterisch, brachen lachend zusammen. Alys mußte auch lächeln, ihre Fröhlichkeit war trotz ihrer Müdigkeit ansteckend.
    »Was?« fragte sie.
    »Lord Hugo!« sagte Eliza. »Das wirst du nie erraten. Er war hier, bei Lady Catherine, die ganze Nacht. Und wir haben gesehen, wir haben gesehen...«
    »Erzähl's richtig«, tadelte sie Margery. »Erzähl von Anfang an.«
    »Ich hör mir das nicht an«, sagte Ruth. »Lady Catherine wird sicher reinkommen und euch beim Klatschen erwischen, Eliza.«
    »Na, dann geh doch zu ihr, und halt ihr die Hand«, sagte Eliza frech. »Und wenn sie kommt, huste, damit wir es hören können. Aber ich muß es Alys einfach erzählen, sonst erstick ich dran.«
    »Albernes Mädchen«, sagte Mistress Allingham nachsichtig. »Aber wir haben vielleicht eine Nacht hinter uns! So was Unanständiges!«
    Ruth verließ das Zimmer, und Eliza zerrte Alys zu einem Hocker und setzte sich vor sie auf den Boden.
    »Nach dem Abendessen«, begann sie atemlos, »ist Lord Hugo hier heraufgekommen und hat gesagt, er würde gerne unterhalten werden. Ruth hat die Mandoline gespielt, und ich hab gesungen, und dann hat Margery gesungen.

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