Die weise Frau
und sie zu den ihren machte. Die Glut seufzte und raschelte im Herd wie das Flüstern eines Geistes. Alys beugte sich im dämmrigen Feuerschein vor, um besser sehen zu können. Die kleinen Wachskörper bewegten sich ganz vorsichtig unter ihren sanften Fingerspitzen.
Die Puppen atmeten.
Sie lebten.
Alys stöhnte leise vor Ehrfurcht und Angst. Sie beugte sich über sie und sah sie genauer an. Dann legte sie die, die den alten Lord darstellte, vorsichtig auf den Stein vor dem Herd. »Von dir will ich nichts«, sagte sie leise. »Ich möchte, daß du gesund und stark bleibst. Und ich möchte, daß du für mich sorgst und mich beschützt, solange ich hier bleibe. Und dann möchte ich, daß du mich gehen läßt.«
Das Gesicht der kleinen Puppe war reglos im Feuerschein. Alys beobachtete sie einige Augenblicke lang. Dann nahm sie die Puppe, die den jungen Lord darstellte. Sie betrachtete sie eine Weile, die klaren Züge und das entschiedene, arrogante Gesicht. Dann zog sie behutsam, sehr behutsam einen Fingernagel über den rechten Augapfel.
»Du sollst mich nicht sehen«, flüsterte sie. »Halte nicht Ausschau nach mir. Sieh mich nicht mit den Augen der Liebe an. Bemerke mich nicht, wenn ich ins Zimmer komme, dreh dich nicht um, um einen Blick auf mich zu erhaschen. Sei blind für mich!«
Sie strich sanft mit dem Finger über das andere Auge. »Schau mich nicht an. Bemerke mich nicht, halte nicht Ausschau nach mir!« sagte sie noch einmal.
Sie blinzelte, um ihren eigenen Blick zu klären, und stellte überrascht fest, daß sie Tränen auf den Wangen hatte. Sie rieb sie mit dem Handrücken weg. Die kleine Gestalt Hugos war augenlos, glatt verschmiert, wo die Augen gewesen waren. Alys nickte. Sie fühlte sich von ihrer eigenen Macht umfangen. Der zärtliche, sehnsüchtige Teil von ihr war stillgelegt, verborgen. Ihre Augen schimmerten in der Dunkelheit, ihr Gesicht strahlte im Bewußtsein ihres eigenen Zaubers. Sie sah wie eine Hexe aus. Sie leckte sich die Lippen wie eine Katze.
Sie hielt die kleine Figur Hugos näher ans Gesicht, dann begann sie, an seinen Fingerspitzen zu arbeiten. Mit behutsamen, kleinen Bewegungen begann sie, seine Fingerspitzen wegzukratzen.
»Sehne dich nicht danach, mich zu berühren«, sagte sie. »Sehne dich nicht danach, meine Haut zu fühlen. Strecke deine Hand nicht nach meinem Gesicht aus. Liebkose mein Haar nicht. Greife nicht nach mir, halte mich nicht fest. Ich raube dir dein Begehren, mich zu fühlen. Ich raube dir deine Macht, mich zu fühlen. Berühre mich nicht, strecke die Hand nicht nach mir aus, liebkose mich nicht.«
Die Fingerspitzen beider Hände waren jetzt flachgedrückt, die Fingernägel, die Morach so sorgsam geschnitten hatte, geschmolzen.
»Du sollst weder meinen Körper noch mein Gesicht noch meine Haare berühren«, sagte Alys. »Leg deine Hand nicht zwischen meine Schenkel oder auf meine Brüste oder halte meinen Nacken. Berühre mich nicht.«
Sie lachte, ein leises entzücktes Lachen, ausgelöst von dem Kribbeln ihrer Kräfte, die so mächtig aus ihrem Bauch in die Fingerspitzen strömten, bis hinunter zu ihren Fußsohlen. Dann hörte sie das Echo ihres Lachens in der verlassenen Backstube und sah sich ängstlich um. Sie zog den Mantel enger um sich, drehte die Puppe von Hugo zur Seite und begann, sein Ohr zu streicheln.
»Horche nicht nach mir«, flüsterte sie leise. »Höre meine Stimme nicht. Hab keine Kosenamen für mich. Erkenne meine Stimme nicht unter anderen heraus. Lausche nicht meinem Singen. Erwache nicht, wenn du meinen Atem nicht neben dir im Bett hörst. Sehne dich nicht nach mir, wenn ich fort bin. Lausche nicht auf meine Schritte, wenn ich nahe bin.«
Sie strich vorsichtig über das Ohr, bis es weggeglättet war, dann drehte sie die Puppe um und streichelte und rieb das andere Ohr, bis es ebenfalls verschwunden war.
Dann legte sie die Puppe wieder auf den Rücken in ihren Schoß und drückte ihr den Zeigefinger auf die Lippen. »Sprich nicht mit mir«, sagte sie. »Flüstere mir nicht zu, singe nicht für mich, scherze nicht mit mir, bete nicht für mich.« Mit hastigen kleinen Bewegungen kratzte sie an Hugos Mund. »Rufe mich nicht«, sagte sie. »Träume nicht von mir. Laß meinen Namen nicht über deine Lippen kommen.«
Sein Mund war ein glatter Strich, aber immer noch rieb Alys weiter.
»Küß mich nicht«, sagte sie. »Leg deinen Mund nicht auf meinen. Suche mit deiner Zunge nicht meinen Mund. Lecke mich nicht oder küsse mich oder
Weitere Kostenlose Bücher