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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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außerstande ist, allen zuzuhören und alles zu lesen, was jedermann schreibt, hört und liest man eben nur die Besten. Diese Sichtweise impliziert allerdings etliche sehr fragwürdige Voraussetzungen: etwa die, dass wir, auch ohne sie vorher gehört oder gelesen zu haben, selbstverständlich wissen, wer zu den Zweitrangigen zählt, wie auch die, dass alles, was Fermi sagte, eo ipso von Bedeutung war. Damit läuft man jedoch Gefahr, bedeutende Forschungen zu übersehen, nur weil ihr Urheber jemand war, dessen Name (noch) kein Gütezeichen ist. Ein klassisches Beispiel für ein aus solcher Haltung erwachsendes Fehlurteil und die Folgen bietet Gregor Mendel. Seine grundlegenden Arbeiten zur Erblehre wurden übergangen, weil er ein Mönch ohne wissenschaftliche Reputation war – mit dem Ergebnis, dass er sich später nicht mehr um eine Publikation seiner Erkenntnisse bemühte.
    Es kann hier nicht darum gehen, Reputation als irrelevant abzutun. Die Meinung eines Menschen, der nachweislich große Leistungen erbracht hat, hat nun einmal eine besondere Glaubwürdigkeit; und sie verdient auch Respekt. Nur darf Reputation nicht dazu führen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nach sozusagen hierarchischen Kriterien bewertet werden. So etwas widerspräche dem Ethos der Wissenschaften, das dem Prinzip der Leistungsgesellschaft entspricht. In einem berühmten Essay über die Leitlinien der Wissenschaft hat Merton einmal geschrieben: »Die Akzeptanz oder Ablehnung von Ansprüchen, in die Ränge der Wissenschaft aufgenommen zu werden, darf nicht von persönlichen oder sozialen Attributen des Betreffenden abhängen. Rassische Zugehörigkeit, Nationalität, das Glaubensbekenntnis, die soziale Herkunft und menschlichindividuelle Qualitäten sind irrelevant.« Ideen dürfen den Sieg nicht nach Maßgabe dessen davontragen, der sie vertritt (oder sich gegen sie stellt), sondern gemäß ihrem immanenten Wert. Das mag eine Utopie sein, jedoch enthält sie einen wichtigen Kern.

NEUNTES KAPITEL
    Komitees, Geschworene und Teams:
Die Columbia- Katastrophe, und wie kleine Gruppen funktionieren können
    Am Morgen des 21. Januar 2003 führte das für den NASA-Raumflug STS-107 – den 28. Flug der Weltraumfähre Columbia – verantwortliche Mission Management Team (MMT) eine Telefonkonferenz durch. Es war seit der Mission der Columbia am 16. Januar die zweite. Don McCormack war eine Stunde zuvor von Mitgliedern des Teams zur Bewertung von Trümmerschäden (DAT) instruiert worden. Das DAT setzte sich aus Ingenieuren der NASA, von Boeing und Lockheed Martin zusammen, die während der vorausgegangenen fünf Tage hauptsächlich mit dem Einschätzen möglicher Folgen eines starken Trümmereinschlags an der Columbia befasst gewesen waren. Während des Eindringens in die Atmosphäre war ein großes Schaumstoffteil der linken Zweifuß-Zone des äußeren Brennstofftanks der Fähre abgebrochen und in die linke Tragfläche des Shuttles gekracht. Keine der Kameras, die den Flug observierten, hatte ein klares Bild des Einschlags geliefert; insofern war es schwierig zu ermessen, welchen Schaden das Schaumstoffteil angerichtet hatte. Und wenngleich das DAT schon vor dem 21. Januar einen Antrag auf Umlaufbahnfotos der Columbia gestellt hatte, war dieses Gesuch noch nicht genehmigt. Das DAT hatte also versucht, das Beste aus den bis zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen zu machen. Es hatte die Größe des Schaumstoffteils und die Geschwindigkeit geschätzt, mit der es in der Columbia eingeschlagen war, und mithilfe des so genannten »Crater«-Algorithmus dann zu berechnen versucht, wie tief ein Stück Trümmer solcher Größe bei einer derartigen Geschwindigkeit in die Thermalschutzkacheln hätte eindringen können, mit denen die Tragflächen des Shuttles bedeckt waren.
    Das DAT war noch zu keinerlei Schlussfolgerungen gelangt, hatte McCormack aber klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass Grund zur Besorgnis bestand, was McCormack jedoch gegenüber dem MMT während der Telefonkonferenz verschwieg. Der Einschlag des Schaumstoffteils wurde überhaupt erst im letzten Drittel der Konferenz erwähnt und kam auch erst nach Erörterungen über ein blockiertes Kameragerät, die wissenschaftlichen Experimente an Bord der Columbia , eine undichte Wassertrennschleuder und anderes mehr zur Sprache. Dann erst bat Linda Ham, die Leiterin des MMT, McCormack um einen Bericht über die neuesten Entwicklungen. McCormack gab lediglich bekannt, dass man den

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