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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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Iowa Electronic Markets ergibt sich aus zahlreichen voneinander unabhängigen individuellen Beschlüssen, und nicht aus einer bewusst gefällten Gruppenentscheidung. Doch selbst die zu einer Durchführung eines Experiments oder Projekts ad hoc gebildete kleine Gruppe hat ihre eigene Identität. Es ist daher unvermeidlich, dass die Mitglieder einer Gruppe einander in der Urteilsfindung beeinflussen.
    Daraus ergeben sich, wie wir sehen werden, zwei Konsequenzen. Einerseits kann es vorkommen, dass wegen solch unmittelbarer gegenseitiger Beeinflussung ihrer Mitglieder kleinere Gruppen miserable Urteile fällen; sie fallen im Übrigen tendenziell auch unvorhersehbarer und extremer aus. Andererseits ist eine kleine Gruppe eben sehr viel mehr als nur die Summe ihrer Teile. Eine erfolgreiche Kleingruppe, deren Mitglieder von Angesicht zu Angesicht zusammenarbeiten, besitzt zudem auch eine über den gewöhnlichen Wortsinn hinausgehende kollektive Intelligenz. Sie veranlasst jedes ihrer Mitglieder zu intensiverem Bemühen und zu stärkeren Denkanstrengungen; gemeinsam erreichen sie optimalere Schlussfolgerungen, als es Individuen für sich allein möglich wäre. David Halberstam hat in seinem Buch The Amateurs (1985) über die Rudermannschaften bei Olympischen Spielen geschrieben: »Wenn Ruderer den für sie schönsten Augenblick in ihrem Boot beschreiben sollten, haben sie mehrheitlich nicht so sehr an den Wettstreit um den Sieg gedacht als an das Bootserleben, wenn alle acht Ruder gleichzeitig gemeinsam ins Wasser eintauchen, an die Erfahrung einer nahezu vollkommenen gemeinsamen Identität. In solchen Augenblicken war ihnen zumute, als ob sich das Boot aus dem Wasser höbe. Diesen Moment fassten die Ruderer mit dem Begriff ›Schwingung‹.« Im Zustand solcher Schwingung scheint das Boot in einer fast schwerelosen Bewegung dahinzugleiten. In diesem Augenblick eines perfekten Aufeinander-eingestimmt-Seins empfinden die Ruderer sich als einen einzigen Organismus. Verallgemeinernd könnte man sagen: Eine gut funktionierende kleine Gruppe lebt in einer mentalen Schwingung.
    Eine solche Schwingung ist allerdings schwer zu bewirken. Um ehrlich zu sein: Nur wenige Organisationen haben es verstanden, kleine Gruppen zu bilden, die konstant hervorragend zusammenarbeiten. Trotz aller Lippenbekenntnisse – vor allem seitens amerikanischer Unternehmen – betreffend die immense Bedeutung von Teams und die Notwendigkeit, Konferenzen fruchtbarer zu gestalten, sind wirklich konstruktive kleine Gruppen noch immer die Ausnahme. In der Regel ist es so, dass sie ihre Mitglieder keineswegs tüchtiger machen; es sieht eher so aus, dass sie deren Leistungsfähigkeit mindern. Es besteht leider nur allzu oft Anlass, Ralph Cordiner, dem früheren Vorstandsvorsitzenden des US-Konzerns General Electric, Recht zu geben: »Wenn Sie mir auch nur eine einzige großartige Entdeckung oder Entscheidung eines Komitees nennen können, dann werde ich Ihnen die eine Person in diesem Komitee ausfindig machen, die einzig und allein auf die Idee gekommen ist – beim Rasieren, auf dem Weg zur Arbeit, oder während die anderen einfach bloß herumquatschten. Hinter jeder Lösung eines Problems, hinter jeder zum Erfolg führenden Entscheidung durch ein Komitee steht ein einzelner Mensch, der auf die richtige Idee kam.« Aus dieser Sicht sind kleine Gruppen lediglich ein Hemmschuh für Kreative, die ihre Zeit eigentlich viel besser nutzen könnten, wenn sie nicht in Sitzungen und Konferenzen hocken müssten.
    Das Verhalten des MMT ist dafür ein deutlicher Beleg. Zunächst einmal nahm sich dieses Team seines Problems nicht offenen Auges und Sinnes an, sondern unter der vorgefassten Annahme, dass die Frage, ob ein loses Stück Schaumstoff die Weltraumfähre ernsthaft beschädigen könnte, bereits beantwortet sei. Nun gut, um fair zu sein: Dabei mag auch ein gewisses Pech mitgespielt haben, weil einer der technischen Berater des Teams von Anfang an fest überzeugt war, dass ein Schaumstoffstück einfach keinen schlimmen Schaden verursachen könne, und diese Überzeugung auch allen kundtat, die es hören wollten. Doch es gab eine ganze Menge Hinweise, die in die gegenteilige Richtung deuteten, und das Team sah keine Veranlassung, von diesen Hinweisen aus weiterzudenken. Es ist vielmehr den umgekehrten Weg gegangen. Weil es bezweifelte, das etwas ernsthaft schiefgelaufen sein könnte, setzte es sich über die Notwendigkeit hinweg, weitere Informationen zu sammeln; so kam

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