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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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möglichen Schaden [eines Schaumstoffteil-Einschlags an der Fähre] und Maßnahmen zu seiner möglichen Behebung prüfe. Er fügte hinzu, dass die Columbia fünf Jahre zuvor auf ihrer Mission STS-87 von einem ähnlichen Einschlag betroffen gewesen sei und »ziemlich signifikanten Schaden« erlitten habe. Dazu die Stellungnahme von Linda Ham: »Und ich glaube echt nicht, dass wir da viel machen können; also ist das echt auch kein Faktor, [der] während der Flugzeit [beachtet werden müsste], weil wir da [sowieso] nicht viel machen können.«
    Mit anderen Worten: Ham hatte für sich bereits entschieden, dass der Einschlag des Schaumstoffteils belanglos sei. Mehr noch: Sie hatte auch für alle Konferenzteilnehmer entschieden, dass er nichts zu bedeuten habe – was doch sehr erstaunt angesichts der Tatsache, dass das MMT hier überhaupt erstmals Näheres zu diesem Einschlag erfuhr. Eigentlich hätte McCormack an dieser Stelle den potenziellen Einschlagschaden erläutern und über entsprechende Erkenntnisse aus früheren Vorfällen von Trümmerschäden bei Weltraumfähren berichten müssen. Stattdessen ging die Konferenz einfach weiter.
    Im Rückblick ist natürlich immer alles glasklar, und man macht es sich vielleicht zu einfach, wenn man – so wie nach dem 11. September den US-Nachrichtendiensten – dem MMT der NASA Versagen vorwirft, weil es nicht voraussah, was der Columbia beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre am 1. Februar widerfahren würde. Selbst vehemente NASA-Kritiker haben zu bedenken gegeben, es sei ein Fehler, die Kritik auf dieses eine Team zu konzentrieren, weil auf diese Weise tief verwurzelte organisatorische und mentale Probleme verdeckt würden, die der NASA generell zu schaffen machen. (Es sind in vielem die gleichen Probleme wie 1986, als die Challenger explodierte.) Zugegeben: Die NASA ist ein Musterbeispiel für organisatorische Funktionsstörungen; damit ist aber noch keineswegs zufriedenstellend erklärt, warum das MMT sich anlässlich der kritischen Lage der Columbia dermaßen fehlerhaft aufführte. Beim Durchschauen der Dokumentation, die das Columbia Accident Investigation Board (CAIB) zusammengestellt hat, wird die Einsicht unabweisbar, dass dem Team andere Optionen offen standen, die die Überlebenschancen der Crew möglicherweise drastisch verbessert hätten. Die Mitglieder des MMT wurden bei vielen unterschiedlichen Gelegenheiten dazu gedrängt, sich die für eine angemessene Einschätzung der für den Sicherheitsstandard der Fähre erforderlichen Informationen zu beschaffen. Sie wurden darauf hingewiesen, dass das Schaumstoffteil sehr wohl genügend Schaden hätte anrichten können, um beim Wiedereintritt des Shuttles in die Erdatmosphäre ein »Durchbrennen« zu verursachen. (Dabei dringt die Hitze durch die Schutzschicht der Kacheln in den Rumpf ein.) Die Möglichkeit einer schweren Beschädigung der Fähre ist sogar von der Teamführung selbst ausgesprochen worden. Und trotzdem beschritt das MMT als Gruppe nicht einmal im Ansatz den richtigen Weg zur Erwägung von Maßnahmen zur Rettung der Columbia -Crew.
     
    Die Verhaltensweise des MMT liefert ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Arbeit einer kleinen Gruppe nicht ausgerichtet werden darf und warum Menschen innerhalb einer solchen Gruppe statt klüger dümmer werden können. Das ist in zweierlei Hinsicht von hohem Interesse. Zum einen sind kleine Gruppen inzwischen zum festen Bestandteil des Alltagslebens in den USA geworden, und sie treffen folgenschwere Entscheidungen. Die Urteile der Geschworenenjurys bestimmen darüber, ob Menschen ins Gefängnis kommen oder nicht. Aufsichtsräte legen, zumindest in der Theorie, Unternehmensstrategien fest. Außerdem spielt sich unser Berufsleben mehr und mehr in Teamarbeit oder zumindest in Konferenzen ab. Die Frage, ob kleinere Gruppen zur Lösung komplizierter Probleme imstande sind, ist also alles andere als akademisch.
    Zweitens: Kleine Gruppen unterscheiden sich in bedeutsamer Weise von Gruppen wie Märkten, Wettannahmen oder dem Fernsehpublikum, die sowohl statistisch erfassbare Größen als auch Experimentierfelder darstellen. Wettteilnehmer erhalten in Form der Punktestreuung, Investoren mit den Kurswerten des Börsenmarkts ein Feedback. Die Beziehung der Mitglieder kleiner Gruppen aber ist eine ganz andere. Investoren betrachten sich nicht als Marktteilnehmer; die Mitglieder des MMT dagegen fühlten sich sehr wohl ihrem Team zugehörig. Die kollektive Weisheit etwa der

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