Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
machen«.
Diese Annahme war jedoch falsch. Bei einem frühzeitigen Aufdecken des an den Kacheln entstandenen Schadens wäre ein Eingreifen durchaus möglich gewesen. Im Rahmen der CAIB-Untersuchungen haben NASA-Ingenieure sogar zwei unterschiedliche Strategien demonstriert, dank derer die Crew der Columbia sicher auf die Erde hätte zurückkehren können. (Das Raumschiff selbst war vom Augenblick des Schaumstoffteileinschlags dem Untergang geweiht.) Es besteht natürlich kein Grund, warum das MMT von diesen Strategien hätte wissen müssen. Und doch ist an diesem Punkt wiederum festzustellen, dass es sein Urteil ohne vorherige Beschäftigung mit der Faktenlage traf. Das Urteil ließe sich grob mit den Worten zusammenfassen: »Falls es ein Problem gibt, werden wir es nicht lösen können« – und es war ganz zweifellos dieses Urteil, das auch die Haltung des Teams zur Frage prägte, ob es überhaupt ein Problem gab. Der Bericht des CAIB zitiert übrigens persönliche Aufzeichnungen einer namentlich nicht genannten NASA-Quelle, denen zufolge Linda Ham bei der Ablehnung des DAT-Gesuchs um Fotos von der Tragfläche der Columbia »... sagte, die Sache werde nicht mehr verfolgt, weil wir nichts machen könnten, selbst wenn wir etwas entdeckten«. Aus diesen Worten spricht nicht gerade das Ethos, dank dessen Apollo 13 sicher zur Erde zurückzukehren vermochte.
Kleine Gruppen laufen insbesondere Gefahr, zu sehr auf Konsens zu setzen. Als extreme Form eines Gruppendenkens haben wir es bereits in dem Bericht von Irving Janis über die Planungen zur Invasion der Schweinebucht kennen gelernt; dort hatten die Mitglieder der Gruppe sich auf eine Weise mit der Gruppe identifiziert, dass allein die Möglichkeit einer von ihrem Denken abweichenden Meinung praktisch unvorstellbar wurde. Auf subtilere Weise können kleinere Gruppen unsere generelle Neigung verschlimmern, die Illusion von Gewissheit der Wahrheit des Zweifels vorzuziehen. Am 24. Januar kamen die DAT-Ingenieure erneut mit Don McCormack zusammen, der mittlerweile ihr inoffizieller Verbindungsmann zum MMT geworden war, um ihm die Befunde ihrer Untersuchung über den Einschlag des Schaumstoffteils in die Fähre vorzutragen. Die Präsentation fand in einem Konferenzraum statt, der so überfüllt war, dass sich Techniker selbst auf dem Flur mit einem Stehplatz begnügen mussten – ein deutliches Indiz dafür, wie groß ihre Besorgnis war. Die DAT-Ingenieure hatten fünf Szenarien vom möglichen Verlauf des Unfalls auf der Columbia entwickelt und waren zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Raumfähre wahrscheinlich nicht gefährdet war – eine Schlussfolgerung, die sie allerdings mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Unzulänglichkeit der ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente und den Mangel an zuverlässigen Informationen erheblich einschränkten. Das MMT hatte ihnen die Möglichkeit eines Fotografierens der Columbia aus der Umlaufbahn verweigert – die DAT-Ingenieure konnten also nicht wissen, an welcher Stelle der Weltraumfähre das Schaumstoffstück überhaupt eingeschlagen war. Und der von ihnen verwendete »Crater«-Algorithmus war eigentlich zur Einschlagberechnung von Trümmerstücken entwickelt worden, die um einige hundert Male kleiner waren als das auf die Columbia geprallte Schaumstoffteil. Darum war völlig offen, inwieweit ihre Berechnungen zu den richtigen Ergebnissen geführt hatten. Mit anderen Worten: Die DAT-Ingenieure hoben ausdrücklich hervor, wie ungenau, wie unsicher ihre Analyse war. Die Leitung der NASA aber nahm stattdessen nur ihre Schlussfolgerungen zur Kenntnis.
Eine Stunde später trat das MMT zusammen. McCormack resümierte die DAT-Ausführungen wie folgt: »Sie geben natürlich die Möglichkeit einer bedeutsamen Beschädigung [der Weltraumfähre] zu erkennen. Die Thermalanalyse liefert aber keine Indizien für die Möglichkeit eines [auf die Weltraumfähre] durchgreifenden Brandes.« Und weiter: »Bei alledem herrscht offenkundig eine ziemliche Unsicherheit hinsichtlich der Größe des Trümmerstücks, und wo es unter welchem Winkel eingeschlagen ist. Die Sache ist kompliziert.« Das war nun zwar eine recht verschwommene Umschreibung der Tatsache, dass die Stellungnahme der DAT-Ingenieure auf einer ganzen Menge von nicht überprüften Annahmen beruhte. Es war jedoch immerhin der Versuch einer Warnung vor übereilten Rückschlüssen. Linda Ham aber stellte erneut eine Frage, die sich aus sich selbst beantwortete: »Das heißt:
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