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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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das Pferd von hinten aufgezäumt. Sein Beschluss stand von Anfang an fest. Infolgedessen wurde jede neu hereinkommende Information umgedeutet und ins bereits feststehende Urteil eingepasst. Es ist ein charakteristisches Problem kleiner Gruppen, dass sie große Mühe haben, neue Informationen zu berücksichtigen – wie der Sozialpsychologe Garold Stasser nachgewiesen hat. Er führte beispielsweise ein Experiment mit einer achtköpfigen Gruppe zur Bewertung der Leistungen von 32 Psychologiestudenten durch. Alle Mitglieder der Gruppe erhielten zu jedem Studenten zwei relevante Informationen (etwa über das Studienjahr und über die Prüfungsnoten); anschließend erhielten zwei Mitglieder der Gruppe über jeden Studenten zwei zusätzliche Informationen (etwa über ihre Leistungen im Unterricht); schließlich wurden einem weiteren Mitglied der Gruppe nochmals zwei neue Informationen zu den Studenten bekannt gegeben. Somit standen der Gruppe insgesamt am Ende sechs relevante Informationen über die Studenten zur Verfügung. Genutzt haben die Mitglieder der Gruppe zur Bewertung der Studenten – mit unerheblichen Ausnahmen – lediglich die allen Gruppenmitgliedern zu Anfang mitgeteilten Informationen. Was danach hinzukam, wurde entweder als unwesentlich oder als unzuverlässig erachtet. Stasser vermochte übrigens auch nachzuweisen, dass in unstrukturierten, freien Diskussionen die meistdebattierte Information – paradoxerweise – die allen gemeinsam bekannte Information ist. Noch erstaunlicher aber ist Folgendes: Es kommt sehr häufig vor, dass eine später eingeführte und registrierte Neuinformation ohne Auswirkung bleibt, weil ihr Inhalt missverstanden wird. Neue Botschaften werden häufig einfach umgebogen, damit sie den Inhalt der alten Botschaften bestätigen – ein besonders heikler Punkt, da gerade ausgefallene Nachrichten oft einen besonders wichtigen Informationswert besitzen. (Wenn Leute lediglich Dinge sagen, die wir von ihnen erwarten, werden sie unser Denken kaum ändern.) Oder sie werden so angepasst, dass sie einem Vor-Urteil entsprechen.
    Das größte Manko des MMT aber lag – nicht in soziologischer, sondern in mentaler Hinsicht – in der Homogenität des Teams. James Oberg – früher selbst Leiter eines Teams zur Überwachung von Weltraumflügen, heute NBC-Korrespondent – verdeutlichte diesen Umstand anhand eines Vergleichs: Die NASA-Teams, die die Apollo -Raumflüge betreuten, hätten, wie er betont, aus sehr viel unterschiedlicheren Personen bestanden als das MMT – eine Aussage, die zunächst einmal Verwunderung auslöst. Denn die Ingenieure der Mission Control in den späten sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wirkten doch ungemein konformistisch; sie hatten alle miteinander den gleichen Bürstenschnitt, und sie trugen die immergleichen kurzärmeligen weißen Hemden. Gewiss. Aber, wie Oberg ausführt, waren sie zumeist in den unterschiedlichsten Branchen tätig gewesen, bevor sie NASA-Angestellte wurden. Dagegen kommt heute die große Mehrheit des NASA-Personals direkt von der Universität. Von daher haben diese Leute eine ähnliche Mentalität, und das ist von Nachteil; denn ob Diskussionen in kleinen Gruppen fruchtbar sind oder nicht, hängt wesentlich von der Vielfalt der Denkweisen ihrer Mitglieder ab. Die Politikwissenschaftlerin Chandra Nemeth konnte in zahlreichen Untersuchungen mit Scheinjurys nachweisen, dass allein die Tatsache eines abweichenden Minderheitenstandpunkts bei einer kleinen Gruppe eine nuanciertere Entscheidung sowie einen rigoroseren Entscheidungsfindungsprozess bewirkt. Das trifft selbst dann zu, wenn die Minderheitenposition sich als wenig vernünftig herausstellt. Es ist die Konfrontation mit einer abweichenden Meinung an sich, welche die Mehrheit nötigt, ihre eigene Position zu hinterfragen. Das soll nun keineswegs heißen, dass es bei einer idealen Geschworenenjury so zugeht wie im Film Die zwölf Geschworenen , in dem ein einziger Abweichler elf Männer, die schon bereit sind, ihr Urteil abzugeben, zu überzeugen vermag, dass sie alle miteinander falsch liegen. Es bedeutet jedoch, dass eine Gruppe schon dank einer einzigen abweichenden Meinung zu einem weiseren Urteil gelangen kann. Man darf vermuten, dass die Entscheidung des MMT ganz anders ausgefallen wäre, wenn in diesem Team auch nur eine einzige Person den Part des Advocatus Diaboli übernommen und dezidiert die Auffassung vertreten hätte, dass der Einschlag des Schaumstoffteils die Tragfläche

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