Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
erkennen, warum ein Unternehmen am Ende gut gefahren ist.
Alchian machte damit auch deutlich, dass Unternehmen häufig deshalb gedeihen, weil sie in einer konkreten Situation über die angemessenen Fertigkeiten verfügen. So besaß etwa Henry Ford ohne Zweifel ein außergewöhnliches Verständnis von der Funktionsweise einer Fabrik und sogar von Arbeitern. Fünfzig Jahre früher oder sechzig Jahre später hätte dieses Verständnis ihm jedoch relativ wenig genutzt. Ford hatte verdientermaßen Erfolg; er verdankte ihn freilich auch der Tatsache, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Platz war. Seine Zeit war eigentlich schon mit den dreißiger Jahren vorbei. Vorher hatte er tatsächlich die mächtigste Produktionsfirma der Welt aufgebaut; jetzt steuerte er dieses Unternehmen seinem Niedergang entgegen; es wurde von General Motors überholt. Es ist, wie wir bereits im Kapitel über Diversität gesehen haben, eine tief verwurzelte, schwer auszuräumende Vorstellung, dass menschliche Klugheit in allen Konstellationen gleichermaßen erfolgreich ist. Sie führt aber in die Irre. Während seiner Studie bezüglich Firmenkatastrophen gaben Finkelstein zwei Beobachtungen immer wieder zu denken: »Die merkwürdige Neigung von CEOs und leitenden Angestellten, bei neuen Wagnissen zu glauben, dass sie absolut richtig liegen, und die Tendenz zu einer Überbewertung von Managerqualitäten, indem bei neuartigen Unternehmungen selbst unter markant andersartigen Gegebenheiten Erfolge der Vergangenheit als maßgeblich betrachtet werden.«
Es gibt keine Methode der Entscheidungsfindung, die eo ipso einen Unternehmenserfolg garantiert, denn Unternehmen haben Entscheidungen von unglaublicher Komplexität und Vielfältigkeit zu treffen. Andererseits ist bekannt, dass negative Entscheidungen umso wahrscheinlicher werden, je mehr in einer komplizierten Situation mit ungewissem Ausgang die Macht einer einzigen Person anvertraut ist. Deshalb täten Unternehmen gut daran, Kognitionsaufgaben in nichthierarchischer Form zu lösen. Was würde das für die Praxis bedeuten? Der Informationsfluss sollte nie mithilfe von Organigrammen gelenkt werden. Unternehmen können Methoden zur Entstehung kollektiver Weisheit nutzen – sie könnten zum Beispiel interne Entscheidungsmärkte einrichten, wenn sie angemessene Zukunftsprognosen zu finden suchen -, potenziell sogar dann, wenn sie die Wahrscheinlichkeit alternativer Strategien evaluieren wollen. Unternehmen haben sich des Instruments interner Märkte seltsam zögerlich bedient, trotz aller Wegweisung durch die experimentelle Wirtschaftswissenschaft; und es gibt inzwischen immerhin auch einige wenige Beispiele aus der Praxis, die ihre Nützlichkeit unterstreichen. So ließ Hewlett-Packard Ende der neunziger Jahre durch die Ökonomen Charles R. Plott und Kay-Yut Chen künstliche Märkte für Verkaufsprognosen seiner Drucker einrichten. (Dazu wurden, um Marktdiversität zu gewährleisten, Beschäftigte aus unterschiedlichen Abteilungen von Hewlett-Packard herangezogen. Sie kauften und verkauften Hewlett-Packard-Aktien, je nachdem, wie sie die Verkäufe im folgenden Monat oder Vierteljahr einschätzten.) An jedem dieser Märkte, deren Dauer nur eine Woche betrug, nahmen nicht sonderlich viele – zwischen 20 und 30 – Personen teil; sie trafen sich in der Mittagspause und abends. Im Laufe von drei Jahren übertrafen die Einschätzungen dieser internen Märkte die Unternehmensprognosen in 75 Prozent der Fälle.
Noch eindrucksvoller war ein jüngerer Versuch bei Innocentive, einem Zweigbereich des Pharmakonzerns Eli Lilly. Dort sollte ein interner Entscheidungsmarkt das Gespür der Angestellten dafür testen, welche neuen Produkte Aussicht auf eine Zulassung durch die FDA, die amerikanische Lebensmittelund Arzneimittelkontrollbehörde, hatten. Die Beurteilung der Marktfähigkeit projizierter Medikamente zählt zu den wichtigsten Investitionskriterien von Pharmaunternehmen – deren Renditen sind abhängig von einer Maximierung der Zahl der schließlich zugelassenen und einer Minimierung der neu entwickelten Medikamente, denen eine Zulassung versagt bleibt. Eine zuverlässige Methode zur Prognostizierung, welche neuen Medikamente mit hoher Wahrscheinlichkeit von der FDA genehmigt werden, ist also enorm wertvoll. Innocentive lieferte eine sachliche Beschreibung und die experimentellen Daten von sechs Medikamenten; bei dreien war eine amtliche Zulassung, bei den drei anderen eine Ablehnung sicher. Nach
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