Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
werden. Diversität ist aber auch unter den Geldgebern vonnöten. Ein Vorteil dezentralisierter Wirtschaftssysteme beruht darauf, dass sie (zumindest in kleinem Rahmen) die Entscheidungsmacht über das ganze System verteilen – würden die entscheidungsmächtigen Personen einander ähneln (oder, wie im folgenden Kapitel erörtert wird, sich durch Nachahmung angleichen), wäre solcher Vorteil bedeutungslos. Je ähnlicher sie sind, desto mehr werden auch die Ideen, die sie favorisieren, einander gleichen – mit der Folge, dass die Bandbreite neuer Produkte und Entwicklungskonzepte, die der Masse der Bevölkerung präsentiert wird, kleiner ist als gewünscht. Wenn dagegen diese Personen unterschiedlich sind, werden die Chancen, dass wenigstens eine von ihnen auf eine radikale oder ungewöhnliche Idee setzt, natürlich größer. Man nehme als Beispiel die Anfänge des Rundfunks. Damals dominierten drei Unternehmen – die amerikanische Marconi-Gesellschaft, NESCO und De Forest Wireless Telegraphy. Marconi beschaffte das erforderliche Kapital über Investmentbanken von großen privaten Investoren; NESCO wurde von zwei reichen Herren in Pittsburgh finanziert; De Forest Wireless Telegraphy war Eigentum von Kleinanlegern, die auf Spekulationsgewinne hofften. Die unterschiedlichen Finanzierungsquellen aber förderten verschiedenartige technologische Vorgehensweisen.
Nun ist es so, dass die meisten Unternehmungen auch bei verschiedenartigen Finanzierungsmodellen am Ende scheitern. Dieser Tatbestand wurde einmal sehr schön von Jeff Bezos, dem Generalmanager von Amazon, erläutert, als er den Internet-Boom mit der explosionsartigen Artenvermehrung im prähistorischen Kambrium verglich, in dem mehr Arten entstanden und wieder untergingen als in allen anderen Zeitaltern der Evolutionsgeschichte. Man kann – das ist der springende Punkt – das eine nicht ohne das andere haben. Es ist eine allgemein bekannte Binsenweisheit, dass Regierungen die Sieger im technologischen und ökonomischen Konkurrenzkampf nicht prädestinieren können und es auch gar nicht erst versuchen sollten. Das gilt allerdings keineswegs nur für Regierungen. Es gibt kein System, das sich sonderlich gut aufs Vorselektieren künftiger Erfolgsträger verstünde. So werden etwa Jahr um Jahr Zehntausende neuer Produkte eingeführt, von denen sich nur ein kleiner Bruchteil auf dem Markt durchzusetzen vermag. Das mit Dampfkraft angetriebene Auto, das Bildtelefon, der Edsel, das Videoformat Betamax, die rechnergestützte Handschriftenerkennung – es kommt laufend vor, dass Unternehmen riesige Summen in Projekte stecken, die schließlich scheitern werden. Doch ein Wirtschaftssystem ist nicht zuletzt erfolgreich dank seiner Fähigkeit, Verlierer zu identifizieren und rasch zu eliminieren. Oder mit anderen Worten: Was den Erfolg eines Systems ausmacht, ist die Fähigkeit, das Aufkommen auch zahlreicher Verlierer zu ermöglichen, sie dann aber als solche zu erkennen und zu liquidieren. Ein Maximum an Unordentlichkeit erweist sich am Ende oftmals als eminent weise.
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Es genügt aber nicht, ein reichhaltiges Spektrum von möglichen Problemlösungen zu entwickeln. Die Masse muss auch imstande sein, zwischen guten und schlechten Problemlösungen zu unterscheiden. Wie wir bereits gesehen haben, scheinen Gruppen sich darauf recht gut zu verstehen. Spielt nun aber Diversität innerhalb der Gruppen selbst eine Rolle? Oder anders ausgedrückt: So denn ein vielfältiges Spektrum an Problemlösungen vorliegt – macht es da einen Unterschied, ob sich eine Gruppe aus verschiedenartigen Entscheidungsträgern zusammensetzt oder nicht?
Ja, das macht einen Unterschied, und zwar in zweifacher Hinsicht: Diversität wirkt sich, erstens, positiv aus, weil sie neue Perspektiven einbringt, die sonst ausbleiben würden, und zweitens, weil sie einige für den Einscheidungsfindungsprozess gefährliche Eigenschaften von Gruppen eliminiert oder zumindest abschwächt. Dabei sind Förderung und Pflege von Diversität in kleinen Gruppen, etwa in streng strukturierten Organisationen, von höherer Bedeutung als in größeren Gemeinschaften, zum Beispiel in Märkten oder Wählerschaften, über die wir bereits gesprochen haben – und zwar aus folgendem Grund: Die schiere Größe der meisten Märkte in Verbindung mit der Tatsache, dass jedermann mit Geld darin eintreten kann (eine Beitrittsgenehmigung oder Anstellung ist dazu nicht vonnöten), bewirkt gleichsam automatisch ein gewisses Maß an
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