Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
nur seiner persönlichen Information vertraut, wenn er Entscheidungen trifft, riskiert, dass diese auf einer unnötig schmalen Informationsbasis beruhen. Doch kann man sich auf die Information anderer verlassen? Führt Lernen zu besseren Entscheidungen?
Es kommt drauf an, wie wir lernen. Ziehen wir einmal die Geschichte vom »Bohlenstraßen-Fieber« in Betracht, die vor einem Jahrzehnt von dem Ökonomen Daniel B. Klein und dem Historiker John Majewski aufgedeckt wurde. Die Amerikaner waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besessen vom Gedanken, die Binnenstruktur ihres Landes zu verbessern: mit Schifffahrtskanälen, Eisenbahnen und Hauptstraßen. Es wurde immer mehr Land erschlossen, der Handel boomte, und diese Entwicklung sollte durch einen Mangel an Transportwegen nicht ins Stocken geraten. Der Bau des 584 Kilometer langen Eriekanals, der die Stadt New York mit dem Eriesee verband, war 1825 abgeschlossen. Er halbierte die Reisedauer von der Ostküste in den mittleren Westen; die Transportkosten wurden um 90 Prozent reduziert. Anschließend wurden binnen weniger Jahre die ersten regionalen Eisenbahnstrecken gelegt. Gleichzeitig sorgten Privatunternehmer im ganzen Land für gebührenpflichtige Fernstraßen.
Es gab da allerdings ein Problem, das all diese fieberhafte Bautätigkeit nicht zu lösen vermochte. Die Kanäle und Eisenbahnlinien verbanden zwar die größeren Städte (und verwandelten kleinere Gemeinden, die zufällig an der Strecke lagen, in blühende Handelsplätze). Für die Menschen, die außerhalb solcher Städte lebten – also für die meisten Amerikaner -, wurde es damit jedoch nicht leichter, ihre Waren zum Markt zu schaffen oder von einer Kleinstadt zur nächsten zu gelangen. Es gab zwar öffentliche Ortsstraßen, die zum Teil durch die Gemeinden instand gehalten wurden (so wie sich ja auch, jedenfalls in der Theorie, Stadtbewohner um das Stück Bürgersteig vor ihrem Wohnhaus kümmern), nur befanden sie sich für gewöhnlich in schlechtem Zustand. »Sie waren, wenn überhaupt, unzureichend fundamentiert und drainiert«, schreiben Klein und Majewski. »Bei Regenwetter verfiel die Straßendecke in schlammige, zu Trockenzeiten in staubige Furchen. Der Verkehr kam nur langsam voran und verschliss Fuhrwerke und Zugtiere.«
Für dieses Problem glaubte nun ein Ingenieur namens George Geddes eine Lösung gefunden zu haben: die Bohlenstraße. In Kanada waren Bohlenstraßen – sie bestehen, wie der Name schon andeutet, aus Holzplanken, die über zwei Schichten aus Bauhölzern gelegt werden – Anfang der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts eingeführt worden, und nachdem Geddes sie begutachtet hatte, gelangte er zu der Überzeugung, dass sie auch in den Vereinigten Staaten funktionieren würden. Dass die Bohlenstraße einem furchigen, morastigen Weg vorzuziehen wäre, stand außer jedem Zweifel. Unklar war nur, ob Bohlenstraßen – die überwiegend mit Privatkapital und durch Mautgebühren finanziert werden sollten – lange genug bestehen würden, um die Kosten zu decken. Geddes war der Meinung, die Lebensdauer einer Bohlenstraße betrüge acht Jahre – was reichen würde, um eine anständige Rendite auf die erforderlichen Investitionen zu garantieren. Damit überzeugte er 1846 seine Mitbürger in Salina, New York, die eine Gesellschaft zur Errichtung der ersten Bohlenstraße dieses Bundesstaats gründeten.
Die Straße erwies sich als spektakulärer Erfolg. Es dauerte nicht lange, bis das Bohlenstraßen-Fieber zunächst ganz New York, dann die Bundesstaaten an der mittleren Atlantikküste und den mittleren Westen erfasste. Geddes wurde zu einer Art Sprecher dieser Branche, wiewohl in den übrigen Bundesstaaten weitere, ihm vergleichbare Förderer auf den Plan traten. Binnen eines Jahrzehnts entstanden allein in New York 352, in den ganzen USA über 1000 Bohlenstraßen-Gesellschaften.
Leider war die ganze Sache auf eine Illusion gebaut. Denn die Bohlenstraßen hielten nicht, wie Geddes versprochen hatte, acht Jahre (und schon gar nicht, wie sonstige Enthusiasten behaupteten, zwölf Jahre) durch. Wie Klein und Majewski aufzeigen, betrug ihre Lebensdauer eher rund vier Jahre, und damit wurden sie für die Unternehmen zu teuer, um sie zu pflegen und instand zu halten. Dass Bohlenstraßen kein Patentrezept für die anstehenden Transportprobleme boten, lag bereits ein Jahrzehnt später klar auf der Hand. Und obwohl einige wenige dieser Straßen – einschließlich einer 21-Kilometer-Strecke,
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