Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
Phänomen, das manchmal als Herdendenken bezeichnet wird. So wie die Wasserbüffel sich angesichts der Bedrohung durch einen Löwen zusammenscharen, empfinden Football-Trainer, Vermögensverwalter und Konzernchefs es oft als verlockend, sich hinter der mehrheitlichen Übereinstimmung von ihresgleichen zu verschanzen.
Was dabei auffällt: Das Herdenverhalten beherrscht selbst Leute, die eigentlich allen Grund zu eigenständigem Denken hätten. Ein Standardwerk über solches Herdendenken haben David S. Scharfstein und Jeremy C. Stein verfasst. Sie beobachteten bei Vermögensverwaltern den Hang zu tendenziell den gleichen Strategien und Aktienanlagen. Und das ist nun echt verblüffend. Schließlich existieren Vermögensverwalter ja nur deshalb, weil sie Anleger überzeugten, mit ihrer Hilfe überdurchschnittliche Renditen erzielen zu können. Genau das aber gelingt den meisten Vertretern dieser Zunft nicht. Ihre Aufgabe ist ohnehin schwierig genug, nur macht ein Herdenverhalten sie noch schwieriger: Wie sollen solche Manager denn Erfolge erzielen, wenn sie einander auch noch kopieren?
Scharfstein und Stein machen allerdings auch klar, dass Investmentfonds-Manager zweierlei zu leisten haben: Sie müssen klug investieren und ihre Klienten davon überzeugen, dass sie klug investieren. Umgekehrt haben aber auch Investmentfonds-Anleger ein großes Problem: Wie können sie dessen gewiss sein, dass der Manager ihr Kapital klug anlegt? Denn: Wüssten sie, wie das eigene Kapital vernünftig anzulegen wäre, würden sie es ja selber tun. Natürlich kann jeder die aktuelle Renditenentwicklung verfolgen; Renditen sind jedoch bestenfalls kurzfristige Indikatoren. In jeder Vierteljahresbilanz können Leistungen eines Managers signifikant besser oder schlechter ausfallen aufgrund von Faktoren, die nicht das Mindeste mit seinen Fähigkeiten zu tun haben, auf die richtigen Aktien zu setzen oder die Vermögenswerte optimal zu bewirtschaften. Darum ist ein Investor auf zusätzliche Kriterien zur Beurteilung der Entscheidungen eines Investmentfonds-Managers angewiesen. Und wie findet er solche Kriterien? Indem er den Investitionsstil eines Managers mit dem der Konkurrenten vergleicht. Falls der eigene Investmentfonds-Manager die gleiche Strategie befolgt – Geld in die gleiche Art von Aktien platziert, Kapital in gleichartige Vermögenswerte steckt wie die anderen -, kann der Investor immerhin daraus schließen, dass er sich nicht irrational verhält. Damit kommt es aber auch zu dem oben angeschnittenen Problem: Ein Investmentfonds-Manager, der von der Menge abweicht – indem er etwa eine konträre Strategie entwickelt -, wird wahrscheinlich für verrückt gehalten.
Nun wäre das alles belanglos, wenn Investoren über ein unbegrenztes Maß an Geduld verfügten; denn der Unterschied zwischen guten und schlechten Strategien wird sich schlussendlich in Zahlen niederschlagen. Investoren ist grenzenlose Geduld nun aber keineswegs zu Eigen; zudem wird selbst der klügste Vermögensverwalter über signifikante Zeiträume keine Erfolge ausweisen. Darum ist es für den Vermögensverwalter sicherer, die Strategie anzuwenden, die rational scheint , als eine Strategie, die rational ist . Infolgedessen imitieren Manager einander; sie müssen schließlich alles tun, um ihren Job zu behalten. So geben sie freilich den Nutzen eigener Informationsvorteile auf; denn Vermögensverwalter, die einander kopieren, verlassen sich ja nicht auf ihre persönliche, sondern auf die Information anderer. So etwas wiederum reduziert nicht nur das Spektrum möglicher Investitionen, sondern auch die Gesamtintelligenz des Marktes, weil es imitierenden Managern an Innovationen mangelt.
3
Wer dem Herdentrieb folgt, mag der Ansicht sein, das Richtige zu wollen, und vielleicht hat er damit sogar Recht. Meistens hält man sich jedoch ans Herdenverhalten, weil es am sichersten ist. Es entspricht dem Diktum, das John Maynard Keynes in seinem Standardwerk The General Theory of Employment, Interest, and Money [»Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes«] so formulierte: »Die Weltweisheit lehrt, dass es dem eigenen Ruf eher dient, konventionell zu scheitern als auf unkonventionelle Weise Erfolg zu haben.« Dennoch ist Tatsache, dass die Menge oft Recht hat – was wiederum bedeutet: Die Beachtung des Tuns der anderen müsste uns weiser und nicht törichter machen. Information beschränkt sich nicht auf eine Person, sie ist auf viele verteilt. Wer
Weitere Kostenlose Bücher