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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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gleiche Wahl getroffen hat, sollten wir uns eigentlich dementsprechend entscheiden.) Sobald jedes Individuum nicht mehr eigenem Wissen vertraut, verliert eine Kaskade jedoch an informativer Substanz. Dann glaubt jedermann, dass die Leute sich aufgrund eigenen Wissens so entschieden haben, obwohl sie ihre Entscheidungen in Wirklichkeit auf das vermeintlich sichere Wissen derer abstellen, denen sie sich anschließen. Statt alle individuellen Informationen zu bündeln – wie es etwa auf einem Markt oder in einem demokratischen Wahlsystem geschieht -, entwickelt eine Kaskade sich dann zu einer Abfolge uninformierter Handlungen, und die Gruppe verfällt schließlich auf eine schlechte Entscheidung: indem sie beispielsweise so viel Kapital in den Bau von Bohlenstraßen investiert.
    Das Originalmodell liefert allerdings nicht die einzige Theorie zur Wirkungsweise von Kaskaden. So hat etwa Malcolm Gladwell in seinem Buch Der Tipping Point – Wie kleine Dinge Großes bewirken können eine sehr andersartige Erklärung geboten, die insbesondere die Bedeutung einzelner Personen für die Verbreitung von Informationen unterstreicht – er bezeichnete sie als »Kontakter« oder »Verkäufer«. Im Kaskadenmodell von Bikhchandani, Hirshleifer und Welch haben alle die gleiche Menge persönlicher Informationen. Die frühen Nutzer eines Produkts sind nur deshalb einflussreicher, weil sie eben die Ersten waren und ihr Verhalten von den übrigen beobachtet und nachgeahmt wurde. Im Modell von Gladwell dagegen sind einige Personen sehr viel einflussreicher als andere, und Kaskaden (bei ihm heißen sie »Epidemien«) bilden sich aufgrund sozialer Bindungen und nicht einfach infolge eines gegenseitigen Beobachtens anonymer Fremder. Auch bei ihm halten die Leute Ausschau nach Informationen, sie richten sich aber nach »Kontaktern« und »Verkäufern«, von denen jeder über andersartige Informationen verfügt.
    Gibt es solche Kaskaden nun wirklich? Ohne jeden Zweifel, wenngleich sie kein so allgemeines Phänomen sind, wie es das Beispiel von den Restaurantbesuchern nahelegen könnte. Denn – so hat der Wirtschaftswissenschaftler Robert Shiller von der Yale University ausgeführt – normalerweise treffen Menschen keine Serienentscheidungen. »In den meisten Fällen«, schreibt Shiller, »entscheiden viele sich unabhängig voneinander auf der Basis eigener Indizien, ohne die Handlungen anderer zu beachten.« Nun gibt es aber doch viele Situationen, in denen Menschen vor einer eigenen Entscheidung tatsächlich das Verhalten anderer beobachten, und in solchen Fällen kann es zu Kaskaden kommen – es ist sogar wahrscheinlich. Das ist auch nicht immer negativ zu bewerten. So wurde, um ein Beispiel zu nennen, eine besonders wichtige wertvolle technologische Innovation in der Geschichte Amerikas durch das Orchestrieren einer erfolgreichen Informationskaskade ermöglicht. Sie betrifft die Schraube. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts setzte William Sellers, der führende und geachtetste Maschinenschlosser seiner Zeit, als das Gewerbe der Werkzeugmaschinenherstellung in etwa der Bedeutung der Hochtechnologie-Industrie der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts entsprach, eine Kampagne zur Durchsetzung einer Normschraube in Gang – einer Schraube, die er übrigens selbst entworfen hatte. Vor der Sellers’schen Kampagne musste in Amerika jede einzelne Schraube noch von einem Werkzeugmaschinenschlosser manuell gefertigt werden. Das behinderte natürlich die Möglichkeiten der Massenproduktion, gestattete den Werkzeugmaschinenschlossern aber die Bewahrung ihrer traditionellen Lebenswelt: Schließlich hatte die Maßanfertigung in ökonomischer Hinsicht den Vorzug der Kundenbindung. Wenn man eine Drehbank von einem Werkzeugmaschinenschlosser kaufte, musste man für Schraubenreparaturen und Ersatzteile auch wieder zu ihm. Bei normierten, austauschbaren Schrauben dagegen würden die Kunden weniger auf die Expertise eines Handwerkers angewiesen sein und stärker auf den Preis einer Schraube achten.
    Für die Befürchtungen der Handwerker hatte Sellers durchaus Verständnis. Andererseits war er fest überzeugt, dass austauschbare Teile und die Massenherstellung unumgänglich seien. Die von ihm entworfene Schraube sollte leichter, billiger und rascher herzustellen sein als alles bis dahin Bekannte. Und seine Normschraube lag im Trend des neuen Wirtschaftsdenkens, das auf Tempo, Mengenproduktion und Preis Wert legte. Angesichts dessen, was für die

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