Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
Projects Agency (DARPA) finanziert und bestand aus zwei Stufen. Die erste Stufe, ein Set von geheimdienstinternen Märkten, sollte recht klein, auf etwa 20 oder 30 Personen beschränkt und nur Geheimdienstanalysten und eventuell ein paar externen Spezialisten zugänglich sein. Diese Gruppe von Märkten hätte wahrscheinlich die Aufgabe gehabt, spezifische Ereignisse (etwa Terrorakte) zu prognostizieren, da die Marktteilnehmer sich für ihre Schlussfolgerungen unter anderem auf strikt geheime Informationen und harte Geheimdienstdaten hätten stützen können. Man hoffte, dass ein solcher interner Markt zur Umgehung von Abteilungsdenken und bürokratischem Gerangel beitragen könnte, die auf das geheimdienstliche Nachrichtenwesen der USA ohne jeden Zweifel negativ einwirken, nicht zuletzt weil sie oft zu Schlussfolgerungen gelangen, die den Analysten ins Konzept passen. Zumindest der Theorie nach würde solch ein interner Markt eher nicht von dem Wunsch gelenkt werden, dem eigenen Chef oder Geheimdienst genehm zu sein (beziehungsweise das Weiße Haus zufriedenzustellen), sondern eine möglichst genaue Prognose zu liefern. Und da er Angehörigen verschiedener Dienste offen stünde, hätte er die Art von kollektivem Urteil möglich gemacht, mit der sich amerikanische Abwehr- und Nachrichtenkreise im vergangenen Jahrzehnt so schwer getan haben.
Der zweite Teil der FutureMAP war der so genannte Policy Analysis Market (PAM), der im Sommer 2003 bei Politikern Entsetzen und einen Hagel von Kritik auslöste. PAM beruhte auf einer einfachen Idee: So wie das IEM gute Wahlprognosen und andere Märkte offenbar gute Zukunftsvorhersagen erstellen, hätte ein auf den Mittleren Osten fokussierter Markt Geheimdiensterkenntnisse liefern können, wie sie sonst versäumt werden.
PAM und der interne Markt unterschieden sich in einem wichtigen Punkt: PAM sollte erstens der Öffentlichkeit zugänglich sein und zweitens gewöhnlichen Staatsbürgern die Möglichkeit eines Vorteilsgewinns bieten. Die Rädelsführer des Angriffs auf PAM, die Senatoren Ron Wyden und Byron Dorgan, bezeichneten es als »verrückt«, »beleidigend« und »unnütz«. Die Öffentlichkeit beziehungsweise zumindest diejenigen, welche von dem Projekt hörten, bevor es sang- und klanglos von der Bildfläche verschwand, schienen gleichermaßen entrüstet.
Wer den Ausführungen dieses Buches gefolgt ist, wird nicht überrascht sein, dass ich PAM für ein potenziell sehr gutes Projekt halte. Dass dieser Markt öffentlich zugänglich sein sollte, hätte keineswegs bedeutet, dass seine Prognosen ungenauer ausfallen würden – im Gegenteil: Wie wir bereits gesehen haben, ist das kollektive Urteil von Händlern, die nicht unbedingt Fachexperten sind, oft erstaunlich gut. Wichtiger noch: Eine Öffnung dieses Marktes zur Bevölkerung hin hätte die amerikanischen Abwehr- und Nachrichtenkreise in die Lage versetzt, Informationen von Personen zu erhalten, von denen sie – sei es aus patriotischen Gründen, aus Furcht oder Ressentiment – für gewöhnlich nichts hören, die jedoch über aktuelle Kenntnisse bezüglich der Lage im Mittleren Osten verfügen.
Aus der Sicht, die Shelby in seiner Kritik an den Abwehrund Nachrichtenkreisen vertrat, würde PAM wie die internen Märkte zur Überwindung der institutionellen Barrieren beigetragen haben, die eine Bündelung von Informationen an einer Stelle bisher verhindert haben. Und da in einem Markt tätige Händler zudem nur dem Anreiz folgen, die richtige Prognose zu treffen – ihre Entscheide also nicht durch bürokratische oder politische Faktoren beeinflusst sind -, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie ehrliche Einschätzungen liefern, anstatt ihre Meinungen einem politischen Klima oder bürokratischen Zwängen anzupassen.
Senator Wyden wies PAM als »Ammenmärchen« zurück und meinte, die DARPA würde besser daran tun, ihr Geld in die geheimdienstliche Erkundung der »wirklichen Welt« zu stecken. Da ging er freilich von einem völlig falschen Gegensatz aus. Denn es hatte ja niemand vorgeschlagen, das übliche Sammeln von Geheimdienstinformationen durch einen Markt zu ersetzen. PAM war ja lediglich als zusätzlicher Weg zum Sammeln solcher Informationen gedacht. Falls PAM im Übrigen ein »Märchen« gewesen wäre, so hätte sich das bald genug manifestiert. Das Abschießen des Projekts sorgte letztlich bloß dafür, dass wir nie erfahren werden, ob Entscheidungsmärkte etwas Wesentliches zur Behebung der
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