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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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zahlreiche Programmierer, dass, ganz gleich um was für eine Störung es sich handelt, irgendeiner von ihnen herausfindet, wie sie zu beheben ist. Die unterschiedlichen Fähigkeiten der Programmierer stellen außerdem sicher, dass eine Störung, worin sie auch bestehen mag, entdeckt und identifiziert wird. Um es mit den Worten Eric Raymonds, eines Gurus der Open-Source-Bewegung, auszudrücken: »Bei einer hinreichend großen Zahl von Augen sind alle Störungen oberflächlich.«
    In seinem Operationsmodus unterscheidet Linux sich gar nicht so sehr von einem Markt, wie er im zweiten Kapitel dieses Buches beschrieben wurde. Gleich einer Bienenkolonie schickt Linux massenhaft Kundschafter auf Nahrungssuche aus, in der Erwartung, dass einer von ihnen den vorteilhaftesten Weg zu den Blumenfeldern ausfindig macht. Solches Vorgehen ist zweifellos weniger effizient, als wenn einfach versucht würde, den besten Weg zum Feld vorab genau zu bestimmen oder den klügsten Kundschafter auszuwählen und ihn losziehen zu lassen. Denn wenn hunderttausende Programmierer sich um die Lösung eines Problems bemühen, die doch nur wenige von ihnen finden, wird schließlich viel Zeit vergeudet, die besser genutzt werden könnte. Und doch: So wie das kontinuierliche Wachstum des freien Marktes gerade durch seine Fähigkeit gesichert wird, viele Alternativen zu erzeugen und sie dann auszusieben, ist bei Linux die scheinbare Verschwendung eine Art Stärke (eine Stärke, mit der auf Gewinn ausgerichtete Unternehmen, glücklicherweise oder leider, nicht aufwarten können). Man kann tausend Blumen erblühen lassen und dann die eine, die am süßesten duftende, pflücken.

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    Und wer pflückt nun die am süßesten duftende Blume? Idealerweise würde es die Menge tun. Doch kommt es jetzt darauf an, das Lokale und das Globale auszubalancieren: Ein dezentralisiertes System vermag nur wahrhaft intelligente Ergebnisse zu leisten, wenn ein Mittel existiert, um die Information aller in dem System zu sammeln. Ohne das Vorhandensein eines solchen Instruments besteht kein Anlass zu glauben, dass Dezentralisierung ein gescheites Resultat bringt. Bei dem Experiment zu Beginn dieses Buches wurde es durch Francis Galton verkörpert, indem er die Stimmabgaben zählte. Im freien Markt ist der Sammeleffekt eindeutig durch den Preis gegeben. Der Preis einer Ware reflektiert – auf zwar unvollkommene, aber doch wirksame Weise – die Aktionen von Käufern und Verkäufen und bietet den nötigen Anreiz, die Wirtschaft in die von Käufern und Verkäufern gewünschte Richtung zu stoßen. Der Preis einer Aktie spiegelt, unvollkommen und doch effektiv, das Urteil von Investoren über den Wert des Unternehmens. Und im Fall von Linux ist es die kleine Schar von Codierern inklusive Torvalds selbst, die jede mögliche Veränderung des Primecodes überprüfen. Möchtegern-Linux-Programmierer existieren in der ganzen Welt, doch am Ende führen alle Wege zu Linux.
    Nun ist es aber so, dass die Entscheidung darüber, was in den Linux-Code übernommen wird, nicht unbedingt in der Hand einer so kleinen Gruppe Menschen liegen müsste oder sollte. Wenn die These stimmt, die ich in diesem Buch vertrete, würde eine große Schar Programmierer, selbst wenn diese nicht so erfahren und tüchtig wären wie Torvalds und seine Statthalter, eine ausgezeichnete Entscheidung darüber treffen, welcher Code jeweils übernommen werden soll. Aber lassen wir das mal beiseite. Entscheidend ist an diesem Punkt Folgendes: Irgendwer muss darüber befinden, sonst wäre Linux nicht so erfolgreich. Falls eine Gruppe autonomer Individuen eine Aufgabe ohne ein Instrument zur Bündelung aller Urteile zu lösen versucht, kann sie nur hoffen, dass der Gescheiteste in ihrer Mitte mit der optimalen Lösung aufwartet – und es gibt keine Garantie dafür, dass sie tatsächlich entdeckt wird. Wenn dagegen die gleiche Gruppe über ein Instrument verfügt, alle einzelnen Urteile zu sammeln, mag ihre kollektive Lösung sehr wohl besser ausfallen, als selbst die ihres gescheitesten Mitglieds es wäre. Aus diesem Grunde ist paradoxerweise gerade die Bündelung – die ja auch als seltsame Form von Zentralisierung verstanden werden könnte – für den Erfolg der Dezentralisierung von größter Bedeutung. Falls das fragwürdig scheint, so vielleicht deswegen, weil uns im Zusammenhang mit dem Begriff Zentralisierung gewöhnlich »zentrale Planstellen« wie in der alten Sowjetunion in den Sinn kommen oder eine kleine

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