Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
gegenwärtigen Geheimdienstmisere beitragen könnten.
Die Feindseligkeit gegenüber dem PAM-Projekt hat ohnehin wenig mit der Frage zu tun, wie es funktionieren würde. In Wahrheit ging es, wie Wyden und Dorgan zu verstehen gaben, um etwas ganz anderes: nämlich dass es »anstößig« und »moralisch falsch« sei, auf potenzielle Katastrophen zu wetten. Zugegeben, auf einen Attentatsversuch Wetten zu setzen, ist höchst makaber. Nur sollte man dann auch bedenken, dass die Analysten der US-Regierung sich tagtäglich die gleichen Fragen stellen, auf die PAM- Händler eine Antwort zu finden gesucht hätten: Wie stabil ist die Regierung in Jordanien? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Saud-Dynastie stürzen wird? Wer wird 2005 das Oberhaupt der Palästinensischen Verwaltung sein? Wenn es nicht unmoralisch ist, dass die US-Regierung solche Fragen stellt, ist schwer begreiflich, warum es unmoralisch sein sollte, wenn sich Normalbürger dergleichen fragen.
Und wir sollten auch nicht vor dem Gedanken zurückschrecken, dass Menschen von Katastrophenprognosen profitieren. Schließlich besteht auch die CIA nicht aus Freiwilligen, die ihre Arbeit umsonst leisten. Wir bezahlen sie dafür, dass sie Katastrophen vorhersagen, so wie wir auch Informanten für wertvolle Hinweise finanziell entlohnen. Oder lassen Sie uns einen Blick auf die reguläre Wirtschaft tun. Das Geschäft einer Lebensversicherungsgesellschaft beruht auf Wetten darüber, wann Menschen sterben werden (bei traditionellen Lebensversicherungspolicen setzt der Versicherer darauf, dass wir später, bei Leibrenten, dass wir früher sterben, als wir glauben). Dem mag etwas irgendwie Unappetitliches anhaften, doch verstehen die meisten von uns, dass es einfach notwendig ist. Und Ähnliches vollzieht sich eben auch auf den Märkten: Sie machen Unmoralisches nutzbar, um das Gemeinwohl zu bessern. Hätte der Preis für eine optimalere Geheimdiensttätigkeit nur in einer Verletzung von moralischen Empfindlichkeiten bestanden, so wäre er kaum zu hoch ausgefallen. Im Übrigen ist es ganz gewiss weniger unmoralisch, Leute auf die Zukunft Wetten setzen zu lassen, als so vieles, was unsere Geheimdienste praktiziert haben und noch immer praktizieren, um an ihre Informationen zu gelangen. Falls PAM dazu beigetragen hätte, die nationale Sicherheit der USA zu stärken, war es unmoralisch, diesen Markt zu verhindern.
Es gab allerdings ernsthafte Schwierigkeiten, die der Markt selbst zu meistern gehabt hätte, insbesondere eine: Falls er korrekt geurteilt und das Pentagon daraufhin beispielsweise einen Staatsstreich verhindert hätte, so wären die Prognosen der Händler invalidiert worden – und damit wäre auch deren Anreiz zu korrekten Prognosen verloren gegangen. Ein gut regulierter Markt müsste dergleichen US-Interventionen wahrscheinlich berücksichtigen – etwa indem er sie bei den Wetten einkalkuliert (oder indem Händler den Faktor einer möglichen US-Intervention in ihren Preisen veranschlagen). Ein solches Problem ergäbe sich aber auch nur für den Fall, dass der Markt tatsächlich gute Prognosen stellt. Hätte PAM sich je zu einem liquiden Markt entwickelt, so wäre er vermutlich auch mit Problemen konfrontiert worden, die, wie Seifenblasen und reine Glücksspielerei, gelegentlich in anderen Märkten auftauchen. Es ist jedoch nicht erforderlich anzunehmen, dass Märkte vollkommen sind, um zu glauben, dass sie gute Arbeit leisten.
Das kritische Hauptaugenmerk der Politiker galt dem Umstand, dass Menschen auf Ereignisse wie eine Ermordung von Präsident Arafat wetten würden. Hier sollte jedoch beachtet werden, dass die überwiegende Mehrheit der »Wetten« von Händlern sich mit prosaischeren Fragen beschäftigen würde – zum Beispiel: Wie wird die künftige wirtschaftliche Entwicklung Jordaniens aussehen? Oder: Über welche militärische Stärke verfügt Syrien? PAM war im Wesentlichen nicht dazu gedacht, uns mitzuteilen, was die Terrororganisation Hamas in der kommenden Woche unternehmen würde, oder ein Ereignis wie den 11. September zu verhindern. Es sollte uns vielmehr einen genaueren Eindruck von der ökonomischen Lage, der innenpolitischen Stabilität und militärischen Bereitschaft mittelöstlicher Staaten liefern, und inwieweit diese Fakten amerikanische Interessen in dieser Region berühren. Zu solchen Fragen aber könnte das kollektive Urteil von Spezialisten im Beurteilen politischer Strategien, Möchtegern-Experten des Mittleren Ostens,
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