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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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dermaßen überfüllt, dass es dort niemandem gefiel; an anderen Freitagabenden hätten die Leute, die zu Hause geblieben waren, dort einen schönen Abend verbringen können. Die Experimente erbrachten allerdings auch ein äußerst bemerkenswertes Resultat: Über den ganzen Zeitraum von 100 Wochen war die Bar im Durchschnitt zu 60 Prozent voll; es kam somit genau die von der Gruppe beabsichtigte Zielerwartung zustande. (Wenn die Bar in ihrer Kapazität zu 60 Prozent ausgelastet ist, erlebt die größtmögliche Zahl von Gästen dort eine wunderbare Zeit, und keinem ist der Abend verdorben.) Anders gesagt: Auch bei wechselseitiger Abhängigkeit individueller Strategien kann das kollektive Urteil der Gruppe positiv ausfallen.
    Einige Jahre nach der Formulierung des El-Farol-Problems durch Brian Arthur versuchten die Ingenieurin Ann M. Bell und ihr Kollege William A. Sethares es auf andere Weise zu lösen. Brian Arthur hatte vorausgesetzt, dass die potenziellen Bargäste in Antizipierung des Gruppenverhaltens unterschiedliche Strategien wählen würden. Die Barbesucher von Bell und Sethares dagegen befolgten samt und sonders ein und dieselbe Strategie: Waren ihre jüngsten Erfahrungen mit der Bar angenehm gewesen, gingen sie wieder hin – falls nicht, blieben sie fern.
    Die Barbesucher der Experimente von Bell und Sethares gingen also viel simpler vor. Von ihnen dachte keiner darüber nach, wie andere sich verhalten könnten; sie besaßen – im Unterschied zu Brian Arthurs (Computer-)Agenten – auch keine Informationen darüber, wie viele Gäste man im El Farol an den Abenden gezählt hatte, an denen sie dort persönlich nicht anwesend gewesen waren. Ihnen war lediglich bekannt, ob es ihnen kürzlich im El Farol gefallen hatte oder nicht. Wenn ja, kamen sie wieder, wenn nein, blieben sie weg. Man könnte daraus folgern, dass sie ihren jeweiligen Beschluss, die Bar zu besuchen, überhaupt nicht mit dem Verhalten anderer Bargäste zu koordinieren versucht hatten. Sie ließen sich hinsichtlich El Farol einfach nur von ihren persönlichen Erfahrungen leiten.
    Und damit lieferten sie in der Tat eine andere Lösung des Problems als Brian Arthurs Barbesucher. Nach Verstreichen einer gewissen Zeit – Bell und Sethares räumten sie ein, damit jeder Einzelne einen hinreichenden Erfahrungsschatz als Entscheidungsbasis zu sammeln vermochte, ob er El Farol wieder besuchen wollte -, pendelte sich die wöchentliche Frequenz des Barbesuchs in dieser Gruppe bei knapp 60 Prozent ein; die Kapazität der Bar wurde also nur ganz geringfügig weniger optimal genutzt, als ein zentraler Planer es zu bewerkstelligen vermocht hätte. Indem jeder Einzelne, statt zu überlegen, wie sich die anderen verhalten würden, einfach nur nach Maßgabe der eigenen Erfahrung entschied, fand diese Gruppe in toto eine kollektiv intelligente Antwort auf die Frage. Das bedeutet nun aber: Auch bei Koordinationsproblemen kann unabhängiges, individuelles Denken sich durchaus Geltung verschaffen.
    Einen Haken hat die Experimentenserie von Bell und Sethares freilich doch. Bei ihr lag die stabile Auslastung der Bar nämlich in folgendem Umstand begründet: Die Gruppe spaltete sich sehr bald auf: in einen Teil, der die Bar regelmäßig besuchte, und in eine zweite Fraktion, welche sich dort nur hin und wieder blicken ließ. Anders gesagt: Im El Farol kam es rasch zu den gleichen Erscheinungen wie in der TV-Serie Cheers . Nun lässt sich dieses Ergebnis zwar keineswegs als schlechte Lösung des von Brian Arthur formulierten Problems abtun. Aus einer Perspektive reinen Nützlichkeitsdenkens (in dem Sinn, dass jeder tatsächliche Gast, an welchem Abend auch immer, in der Bar eine angenehme Zeit verbrachte) könnte man sich gar zu der Behauptung verleiten lassen, dass es sich um eine ausgesprochen gute Lösung des Problems handelt. Denn sofern im El Farol in fast jeder Woche lediglich nur etwas mehr als die Hälfte der Mitglieder dieser Gruppe einkehrte, kam dort zwar jeder auf seine Kosten (weil die Bar selten überfüllt war). Es wäre andererseits aber kaum vertretbar, solch eine Lösung des Problems als ideal zu bezeichnen, weil ja ein beträchtlicher Anteil der Gruppe die Bar nur selten frequentiert hat und dort dann für gewöhnlich keinen schönen Abend verlebte.
    Obwohl beide Problemlösungen – die von Brian Arthur wie die von Bell und Sethares – erstaunlich beeindruckend wirken, weiß auch ich offen gesagt nicht, welche von beiden die bessere ist. Eine

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