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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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    Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage wandelte der Wirtschaftswissenschaftler Vernon L. Smith im Januar 1956 sein Seminar in ein Labor um. Heutzutage würde so etwas nicht überraschen; mittlerweile werden dergleichen Experimente zum Testen von ökonomischen Hypothesen und zur Evaluierung der Auswirkungen menschlichen Verhaltens auf Entwicklungen des Marktes routinemäßig durchgeführt. Vor 50 Jahren stellte es eine radikale Neuerung dar. Die Wirtschaftswissenschaften beschäftigten sich mit dem Beweisen mathematischer Theoreme oder der bloßen Analyse realer Märkte. Versuche, mithilfe von Labortests Interessantes über die wirkliche Welt in Erfahrung zu bringen, galten der zu jener Zeit herrschenden Meinung zufolge als unmöglich. In der wirtschaftswissenschaftlichen Fachliteratur jener Zeit sind Berichte über Seminarexperimente darum eine Seltenheit. Eine Ausnahme bildete der Harvard-Professor Edward Chamberlin, der seine Studenten Jahr um Jahr auf einem simulierten Markt miteinander Handel treiben ließ. Ihm ist auch die berühmteste der nur wenigen einschlägigen Publikationen zu verdanken. Und bei ihm hatte Vernon Smith studiert.
    Nach heutigen Maßstäben führte Vernon Smith ein ziemlich simples Experiment durch. Eine 22-köpfige Gruppe Studenten wurde je zur Hälfte in Käufer und Verkäufer aufgeteilt. Jeder Verkäufer erhielt eine Karte mit Angabe des niedrigsten Preises, zu dem er zu verkaufen, jeder Käufer ein Kärtchen mit Angabe des höchsten Preises, zu dem er zu kaufen bereit sein sollte. Einmal angenommen, Sie wären damals ein Verkäufer und auf Ihrem Kärtchen ein Verkaufspreis von 25 Dollar notiert gewesen – dann hätten Sie jedes Angebot über diesen Preis oder darüber akzeptiert, denn Sie hätten natürlich einen höheren Preis zu erzielen versucht, da die Differenz ja den Gewinn ausmacht. Wenn nicht anders möglich, hätten Sie aber auch 25 Dollar akzeptiert. Das Gleiche galt umgekehrt für die Käufer – ein Käufer mit dem vorgegebenen Höchstkaufpreis von 20 Dollar würde natürlich versuchen, so wenig wie möglich, notfalls aber auch die doppelte Menge Dollar zu zahlen. Auf die Weise vermochte Smith die Kurven (oder, wie er es nannte, die »Tabellen«) aufzustellen und auf ihrer Grundlage vorauszuberechnen, bei welchem Preis Verkäufer und Käufer einander treffen würden.
    Nachdem nun jeder Student sein Kärtchen bekommen hatte und allen die Regeln erklärt worden waren, ließ Smith seine Schüler miteinander Handel treiben. Der »Markt« folgte dem Modell der so genannten wechselseitigen Auktion, das der üblichen Börse ähnelt. Käufer und Verkäufer riefen ihre Gebote und Gesuche öffentlich aus. Wer ein Gebot beziehungsweise ein Gesuch akzeptieren wollte, gab es ebenfalls durch lauten Zuruf bekannt. Erfolgreiche Abschlüsse wurden auf einer Schiefertafel an der Stirnseite des Raums notiert. Ein Käufer, dessen Kärtchen als Höchstpreis 35 Dollar nannte, konnte etwa ein Bidding (Gebot) starten, indem er rief: »Sechs Dollar!« Falls niemand darauf einging, würde er den Preis wahrscheinlich erhöhen, bis er einen Verkäufer fand, der sein Gebot akzeptierte.
    Mit diesem Experiment verfolgte Vernon Smith ganz schlicht nur ein Ziel. Die Wirtschaftstheorie setzte voraus, dass nach Beginn des Handelns zwischen Verkäufern und Käufern Gebote und Gesuche sich sehr bald auf einen Preis einpendeln – auf den Preis nämlich, an dem Angebot und Nachfrage einander begegnen; die Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang vom »marktgerechten Preis«. Vernon Smith wollte herausfinden, ob die ökonomische Theorie den realen Gegebenheiten entsprach.
    Und in der Tat: Die Preise seines experimentellen Marktes konvergierten sehr bald auf einen Preis. Und dies geschah, obwohl keiner seiner Studenten ein solches Resultat wünschte. (Die Käufer wollten eigentlich niedrigere und die Verkäufer selbstverständlich höhere Preise.) Dieses Ergebnis stellte sich ein, obwohl die Studenten außer der Preisvorgabe auf ihrer jeweiligen Karte sonst keinerlei Informationen besaßen. Smith fand zudem heraus: Dieser Studentenmarkt steigerte den Totalgewinn der Gruppe. Mit anderen Worten: Die Studenten hätten es gar nicht besser machen können, auch dann nicht, wenn ihnen jemand im Besitz umfassenden Wissens gesagt hätte, was sie hätten tun sollen.
    Aus einer bestimmten Perspektive gesehen war das Resultat dieser Experimente alles andere als eine

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