Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
Vom Netzwerk:
missbraucht werden«.
    Im Leitartikel der Gazzetta dello Sport hieß es: »An jenen Stellen, wo Millionen-Dollar-Deals ausgeheckt und die Spielresultate vorherbestimmt werden, zählt Italien nicht.« Ein Minister der Regierung in Rom unterstellte gar: »Es macht den Eindruck, als hätten sie einfach nur an einem runden Tisch zusammengesessen und beschlossen – einfach so -, uns hinauszuwerfen.« Die treffendsten Worte für diese Verschwörungstheorie fand ein Star der »Squadra Azzura«, Francesco Totti, als er bemerkte: »Hier ist es um eine erwünschte Eliminierung gegangen. Von wem sie betrieben wurde? Das weiß ich nicht – es gibt Dinge, die über meinen Horizont hinausgehen, doch mein Gefühl sagt mir, dass man uns raus haben wollte.« Für eine gegen Italien gerichtete Verschwörung oder eine angebliche Ranküne Morenos konnte – trotz aller Rechercheanstrengungen seitens der italienischen Zeitungen – kein einziger Beleg zutage gefördert werden. Die Fans hielten dennoch an ihrer Überzeugung fest, dass sich finstere Kräfte vereint hatten, um die Hoffnungen Italiens auf den Fußballweltmeistertitel zunichte zu machen.
    Einem ausländischen Beobachter mussten die Korruptionsvorwürfe völlig verrückt vorkommen. Es passiert schließlich laufend, dass Schiedsrichter, deren Ehrbarkeit unbestritten ist, falsche Entscheidungen treffen. Welche Gründe gab es eigentlich anzunehmen, dass es im Fall Morenos anders gewesen sein sollte? Für alle, die sich im italienischen Fußball auskennen, waren die Vorwürfe freilich vorhersehbar: Dort wird Korruption nämlich für Normalität gehalten. Die italienische Fußballsaison wird Jahr um Jahr und beinahe wöchentlich von diesbezüglichen Skandalen erschüttert. Dort behaupten Mannschaften routinemäßig, dass einzelne Schiedsrichter gekauft worden seien; dort sind ebenfalls Forderungen von Seiten der Vereine an der Tagesordnung, dass gewisse Unparteiische nicht für Spiele angesetzt werden, an denen sie beteiligt sind. Schiedsrichterverfehlungen sind schlagzeilenträchtig. Jeden Montagabend nimmt die zweieinhalbstündige Fernsehsendung Biscardis Prozess schiedsrichterliche Entscheidungen auseinander, prangert sie die Unparteiischen wegen Begünstigung an.
    Auf den italienischen Fußball wirkt sich all das alles andere als positiv aus. Obwohl die Kicker der ersten Liga, der »Seria A«, zu den besten der Welt zählen, sind die Spiele oft unterbrechungsreiche, von Fouls geprägte Veranstaltungen, die immer wieder von schauspielernden, lamentierenden Akteuren verzögert werden, denen es mehr darum geht, den Schiedsrichter zu bearbeiten, als ihren eigentlichen Job zu tun. Niederlagen werden so gut wie nie als Resultat einer fairen Auseinandersetzung akzeptiert. Selbst einem Sieg wohnt nicht selten der unterschwellige Verdacht inne, dass er möglicherweise nur durch Absprachen in irgendwelchen Hinterzimmern zustande kam.
    Was hat der italienische Fussball aber mit unserem Thema, mit kollektiven Entscheidungen und Problemlösungen, zu tun? Nun denn: Obwohl in einem Fußballspiel zwei Mannschaften als Gegner rivalisierende Interessen verfolgen, haben sie auch ein gemeinsames Ziel, nämlich dafür zu sorgen, dass ein Match für die Fans unterhaltsam und überzeugend ist. Je interessanter die Spiele, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie viele Zuschauer anziehen, dass mehr Eintrittskarten verkauft werden, dass die Einschaltquoten der Fernsehübertragungen hoch ausfallen – desto höher also auch die Einnahmen der Vereine und die Spielergehälter. Die zwei Mannschaften, die gegeneinander antreten, stehen also keineswegs in bloßem Wettbewerb miteinander. Zumindest in der Theorie arbeiten sie – wie die Neutralen – auch zusammen, um ein spannendes Match zu bewerkstelligen. Und genau das sind die italienischen Mannschaften außerstande zu leisten. Weil keine der beiden Seiten sicher sein kann, dass ihre Bemühungen am Ende fair belohnt werden, verwenden die Spieler eine ungebührliche Menge Zeit darauf, die eigenen Interessen zu schützen. Es wäre besser, die Energie, Zeit und Aufmerksamkeit zur Qualitätssteigerung des Spielverlaufs als für Attacken auf die Schiedsrichter einzusetzen. Und dergleichen Manipulationsversuche entwickeln eine Eigendynamik. Auch wenn die meisten Spieler lieber ehrlich sein würden – sie glauben, dass sie da nur ausgebeutet würden. Wie es der Flügelstürmer Gennaro Gattuso vom Champions-League-Sieger AC Mailand im Oktober 2003

Weitere Kostenlose Bücher