Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
zurückzuweisen. Wenn Letzterer das Angebot annimmt, steckt jeder der beiden seinen entsprechenden Anteil der Summe ein; lehnt er ab, gehen beide Spieler mit leeren Händen aus dem Spiel.
Verhalten beide Spieler sich rational, so wird der Vorgeber neun Dollar für sich behalten, und der Erwiderer wird den einen angebotenen Dollar nehmen. Der Erwiderer müsste eigentlich immer akzeptieren, ganz gleich was ihm angeboten wird; so bekommt er wenigstens etwas – sonst gar nichts. Ein rational denkender Vorgeber würde sich dessen bewusst sein und dem anderen deshalb ein niedriges Angebot machen.
In der Praxis geschieht so etwas jedoch selten, da werden Niedrigangebote – alles unter zwei Dollar – für gewöhnlich zurückgewiesen. Die Menschen wollen lieber leer ausgehen, als ihren »Partner« mit einem zu großen Anteil der Beute abmarschieren lassen. Sie werden auf eine unentgeltliche Einnahme verzichten, um ein von ihnen als raffgierig oder egoistisch empfundenes Verhalten zu bestrafen. Genau damit rechnen interessanterweise die Vorgeber aber – vermutlich, weil sie in der Rolle des Erwiderers selber so agieren würden. Aus diesem Grund machen die meisten Vorgeber auch keine Niedrigangebote. Das in diesem Experiment am häufigsten vorkommende Angebot beträgt übrigens fünf Dollar.
Das weicht nun freilich stark ab von der »rationalen« Theorie über menschliches Verhalten. Die Teilnehmer am Ultimatum-Spiel wählen ja keineswegs die für sie persönlich materiell beste Option; sie gehen bei ihren Entscheidungen ganz offenkundig auf das Verhalten des anderen ein. Und das Ultimatum-Spiel wird überall in der entwickelten Welt gespielt: Transnationale Spiele in Japan, Russland, den Vereinigten Staaten und Frankreich zeigen jedoch das gleiche Ergebnis. Selbst eine Erhöhung der Geldsumme scheint da keine großen Unterschiede zu bewirken. (Nun gut, wenn der Vorgeber in die Lage versetzt würde, eine Million Dollar aufzuteilen, würde der Erwiderer die Chance, 100 000 Dollar einzustecken, vermutlich doch nicht von sich weisen.) Das Spiel wurde andererseits auch in Ländern wie Indonesien mit einem Gewinnwert in Höhe von drei Tageslöhnen gespielt; selbst dann lehnten die Erwiderer Niedrigangebote ab.
Eine solche Verhaltensweise ist übrigens keineswegs auf Menschen beschränkt. In einer Studie, deren Resultat rein zufällig an dem Tag bekannt gegeben wurde, als Grasso von seinem Posten zurücktrat, weisen die Primatenforscher Sarah F. Brosnan und Frans B. M. de Waal nach, dass auch weibliche Kapuzineraffen auf unfaire Verhandlungsangebote beleidigt reagieren. Die Affen waren so trainiert worden, dass sie Brosnan als Gegengabe für Nahrung einen Granitkiesel brachten. Ihnen wurde als Preis sozusagen eine Gurkenscheibe offeriert. Die Affen arbeiteten in Zweiergruppen, und in 95 Prozent der Fälle lieferten beide einen Stein ab, wenn sie dafür ihre »Gurkenprämie« erhielten. Diese Marktidylle wurde jedoch gestört, als die Wissenschaftler die Regeln änderten und einer Kapuzineräffin eine köstliche Weintraube gaben, während die andere nach wie vor eine Gurkenscheibe bekam. Angesichts solcher Ungerechtigkeit weigerten die benachteiligten Affen sich häufig, ihr Gurkenstück zu fressen, und 40 Prozent von ihnen ließen sich überhaupt nicht mehr auf einen Handel ein. Die Sache wurde noch ärger, als eine Äffin eine Weintraube, die andere dagegen überhaupt nichts erhielt und daraufhin den Stein fortschleuderte; die Teilnahme an dem Tauschhandel sank auf 20 Prozent. Mit anderen Worten: Die Kapuzineraffen waren willens, auf preiswerte, billige Nahrung zu verzichten – ein Stück Gurke für einen Kiesel ist schließlich kein so schlechtes Geschäft -, um ihr Missfallen über den unverdienten Reichtum von Artgenossen auszudrücken. Hätten sie – wie die Teilnehmer an einem Ultimatum-Spiel – die Möglichkeit gehabt, ihren Artgenossinnen den Genuss solcher Reichtümer vorzuenthalten, so hätten sie es vermutlich mit Lust und Wonne getan.
Es scheint also Kapuzineraffen wie Menschen etwas auszumachen, dass Belohnungen in einem gewissen Sinne »fair« verteilt werden. Das ist keineswegs so logisch oder klar, wie es uns auf den ersten Blick vorkommen mag. Denn wenn eine Äffin den Tausch eines Kiesels gegen eine Gurkenscheibe als ein vernünftiges Geschäft empfand und darob glücklich und zufrieden war, bevor sie ihre Kameradin mit einer Weintraube belohnt sah, sollte sie sich eigentlich auch danach auf den Handel
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