Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
Vom Netzwerk:
irgendwie unbefriedigend.
    Schließlich verhalten wir uns auch dann prosozial, wenn uns kein erkennbarer Nutzen winkt. Lassen Sie uns dazu noch einmal einen Blick auf das Ultimatum-Spiel werfen. Jedes Spiel ist ein einmaliger Akt. Man spielt nicht öfter als nur ein einziges Mal mit jemand anderem. Die Erwiderer, die ein Niedrigangebot zurückwiesen, taten dies also nicht, um dem Antragsteller beizubringen, sie das nächste Mal besser zu behandeln. Trotzdem bestraften sie diejenigen, deren Offerte sie als unfair empfanden; daraus folgt, dass die These von einem »Schatten der Zukunft« allein nicht zu begründen vermag, warum wir kooperieren.
    Der wesentliche Punkt ist letztlich nicht der, dass wir mit Leuten kooperieren, die uns bekannt sind und mit denen wir regelmäßig Geschäfte treiben. Der entscheidende Punkt ist vielmehr der, dass wir mit Fremden kooperieren. Wir spenden an wohltätige Vereine. Wir kaufen bei eBay, ohne die Sachen vorher in Augenschein genommen zu haben. Wir melden uns bei Kazaa an und laden Musik auf, damit andere sie herunterladen können, obwohl wir für uns selbst keinen direkten Gewinn daraus ziehen, diese Songs mit anderen zu teilen und anderen Zugang zu der Festplatte unseres Computers zu gestatten. Bei alledem handelt es sich also um streng genommen irrationale Verhaltensweisen. Andererseits profitieren aber alle davon (nun gut, mit Ausnahme der Tonträgerproduzenten). Letztlich mag eine gute Gesellschaft eher dadurch definiert werden, wie wir Fremden gegenübertreten, als wie wir uns Bekannten gegenüber verhalten.
    Man denke an die Gewohnheit des Trinkgeldgebens. Dass Leute in Restaurants, die sie regelmäßig frequentieren, ein reichliches Trinkgeld geben, ist verständlich: Es könnte ihnen besseren Service und einen besseren Tisch sichern oder ganz schlicht den Umgang mit den Bedienungen angenehmer gestalten. In der Regel geben die Leute Trinkgelder aber auch in Lokalen, in denen sie nie wieder einkehren werden, in Städten, die tausende Kilometer von ihrem Heimatort entfernt liegen. Sie tun es teilweise, um sich keiner eventuellen Kritik wegen Knickrigkeit auszusetzen, hauptsächlich jedoch deswegen, weil wir alle miteinander einfach akzeptiert haben, dass man in Restaurants Trinkgeld gibt – nur so können Kellnerinnen und Kellner nämlich ihren Lebensunterhalt verbessern; und wir akzeptieren diese Praxis, wenngleich wir damit freiwillig Geld an uns fremde Personen vergeben, denen wir im Leben vielleicht nie wieder begegnen. Rein logisch betrachtet ist das alles fragwürdig. (Im Film Reservoir Dogs bringt es Mr. Pink mit seiner Frage auf den Punkt: »Warum geben wir Menschen bestimmter Berufe ein Trinkgeld, obwohl wir nicht mal im Traum daran denken würden, Personen mit anderen Berufen ein Trinkgeld zu geben?«) Gerade in Anbetracht dieser logisch berechtigten Frage stellt das Geben von Trinkgeldern, vor allem an Fremde, ein dezidiert prosoziales Verhalten dar, das sich aus dem »Schatten der Zukunft« allein nicht erklären lässt.
    Warum sind wir bereit, mit uns kaum Bekannten zu kooperieren? Mir sagt die Antwort von Robert Wright zu: Weil wir im Laufe der Zeit gelernt haben, dass Handel und Tausch Spiele sind, in denen jeder gewinnen kann, und eben keine Nullsummenspiele, in denen es immer nur Gewinner und Verlierer gibt. Das »wir« ist in diesem Zusammenhang freilich ungenau; denn unterschiedliche Kulturen haben radikal andersartige Vorstellungen von Vertrauen, Kooperation und Freundlichkeit gegenüber Fremden entwickelt. Im nächsten Abschnitt möchte ich darlegen, wie ein Aspekt, der da einen großen Unterschied macht, ein kulturelles Phänomen darstellt, das selten mit Vertrauen oder Kooperation in Verbindung gebracht wird: der Kapitalismus.

4
    In Großbritannien lag während des 18. und frühen 19. Jahrhunderts ein erheblicher Teil der Volkswirtschaft in der Hand von Quäkern, also von Mitgliedern einer religiösen Sekte. So waren etwa die Eisenhütten zu mehr als der Hälfte im Besitz von Quäkern. Sie spielten eine Schlüsselrolle im Bankenwesen (sowohl Barclays als auch Lloyds, beides bis in die heutige Zeit führende Großbanken, sind von Quäkern gegründet worden). Sie waren im Bereich der Erzeugung von Konsumgütern, wie etwa Schokolade und Kekse, führend. Und sie waren maßgeblich beteiligt an der Förderung des transatlantischen Handels zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten.
    Seinen Ursprung nahm der wirtschaftliche Erfolg der Quäker im

Weitere Kostenlose Bücher