Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
lukrativen Handel untereinander. Ihnen war ja, weil sie die anglikanische (Staats-)Kirche und Konfession ablehnten, der Zugang zu den freien (akademischen) Berufen verwehrt. Infolgedessen tendierten sie stark zu Tätigkeiten im Wirtschaftsleben. Wenn Quäker Kredit brauchten oder nach neuen Handelsmöglichkeiten suchten, fanden sie rasch und leicht Partner unter ihren Glaubensgenossen. Der gemeinsame Glaube schuf Vertrauen. Ein Quäker-Handelsherr in London konnte seine Waren getrost über den Ozean verschiffen – weil er gewiss sein durfte, dass er nach ihrem Eintreffen in Philadelphia von seinem Quäker-Partner sein Geld bekam.
Der Erfolg der Quäker blieb der Umwelt nicht verborgen. Ihre persönliche Integrität war seit langem allgemein bekannt. Als Geschäftsleute wurden sie dann weithin berühmt für ihre Sorgfalt und die Genauigkeit ihrer Buchführung. Außerdem leiteten sie Innovationen ein, so zum Beispiel Festpreise für Waren, mit dem Ziel, Handelsaktivitäten transparent zu gestalten, um der skrupellosen Geschäftemacherei ein Ende zu machen. Es dauerte nicht lange, bis die Quäker auch für Andersgläubige zu gesuchten und geschätzten Handelspartnern, Zulieferanten und Verkäufern wurden. Und ihr wachsender Reichtum führte zu der allgemeinen Erkenntnis, dass eine enge Verbindung bestand zwischen dem Wohlstand und dem Ruf der Sekte für Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit. So kam der Eindruck auf: Ehrlichkeit zahlt sich aus.
Im Spiegel der Korruptionsorgie, der amerikanische Unternehmen sich während des Börsenskandals der späten neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts hingaben, mag die Idee, dass Vertrauenswürdigkeit und gute Geschäfte Hand in Hand gehen, hoffnungslos naiv erscheinen – umso mehr, als diese Skandale vielerorts nicht als Verirrungen, sondern als unvermeidliches Nebenprodukt eines Systems gedeutet wurden, das auf die übelsten menschlichen Impulse baut: Habgier, Zynismus und Egoismus. Es ist dies eine Deutung, die plausibel klingt, und sei es allein deswegen, weil die kapitalistische Rhetorik allzu gern und oft Habgier als Tugend und die Herrlichkeit des »unlauteren Geschäfts« hervorhebt – um einen Ausdruck des berüchtigt herzlosen Jobkillers »Chainsaw« [»Kettensäge«] Al Dunlap zu zitieren. Mit solch einem weit verbreiteten Image hat die Realität des Kapitalismus aber wenig zu tun. Im Gegenteil, der Kapitalismus entwickelte sich über Jahrhunderte in Richtung von mehr Vertrauen und Transparenz sowie eines weniger selbstbezogenen Verhaltens. Und es ist auch kein Zufall, dass mit dieser Entwicklung eine höhere Produktivität und wirtschaftliches Wachstum einhergingen.
Eine solche Evolution hat nun aber nicht etwa stattgefunden, weil Kapitalisten von Natur aus gute Menschen sind, sondern weil Vertrauen – soll heißen: dass einem vertraut wird und dass man auch vertrauenswürdig ist – potenziell enorme Vorteile mit sich bringt und ein funktionierendes Marktsystem diese Vorteile deutlich macht. Dass florierende Wirtschaftssysteme eines hohen Niveaus an Vertrauen in die Verlässlichkeit und Fairness täglicher Transaktionen bedürfen, ist längst überzeugend dargestellt worden. Wenn man annehmen müsste, dass man bei jedem Handelsakt möglicherweise einem Betrug zum Opfer fiele oder dass die zum Verkauf angebotenen Waren sich als saure Zitronen herausstellen könnten, dann würden viele Geschäfte erst gar nicht zustande kommen. Wichtiger noch: Die unter solchen Umständen stattfindenden Transaktionen würden exorbitante Kosten verursachen, da jedes Mal enorme Vorkehrungen erforderlich wären, die Sache vorher gründlich zu überprüfen; und man würde zur Einhaltung eines jeden Vertrags rechtliche Schritte androhen müssen. Eine Wirtschaft braucht für ihr Gedeihen keinen weltfremden Glauben an den guten Willen anderer – caveat emptor bleibt eine wichtige Warnung -, sondern ein Basisvertrauen in die Zusagen und Verpflichtungen von Herstellern, Händlern und Dienstleistern. Der Ökonom Thomas Schelling hat es anschaulich auf den Punkt gebracht: »Man muss sich bloß einmal die immensen Enttäuschungen vergegenwärtigen, die sich bei Leistungen von Entwicklungshilfe oder beim Aufbau eines Unternehmens in einem unterentwickelten Land einstellen, um zu begreifen, welch entscheidender Faktor eine Bevölkerung von redlichen, gewissenhaften Menschen darstellt.«
Der Aufbau solchen Vertrauens ist ein ganz zentrales Element der Geschichte des Kapitalismus. Im
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