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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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die Verkehrsingenieure; sie behaupten, dass jeder Stau durch irgendein Hindernis oder einen Engpass verursacht wird. Rein akademisch betrachtet ist die Diskussion zwischen den beiden Gruppen hoch interessant, ihre praktische Relevanz aber schwer zu ermessen. Die Verkehrsingenieure räumen selbst ein, dass die für Verkehrsstaus verantwortlichen »Ungleichmäßigkeiten« äußerst geringfügig sein können – wie etwa schon ein zu langsam fahrendes Auto.
    Den Nachweis für diese These haben Carlos Daganzo und Juan Munoz, die als Ingenieure am Institute of Transportation Studies der University of Berkeley forschen, am 14. Juni 2000 erbracht. Sie schickten einen Testwagen auf die Richmond-San Rafael Bridge unweit von San Francisco und gaben dem Fahrer Anweisung, signifikant langsamer zu fahren als der dort herrschende Fluss des Verkehrs, der sich in einem für die Spätphase der Stoßzeit erfreulichen Tempo bewegte (mit etwas mehr als 100 Stundenkilometern). Die Brücke hat eine Länge von gut neun Kilometern, zwei Fahrbahnen in beiden Richtungen und (natürlich) weder Ein- noch Ausfahrten. Die Auswirkungen traten sofort zutage: Auf der Brücke setzte ein ungewöhnlich häufiges Wechseln der Fahrbahnen ein, während sich weiter hinten, auf der Autobahn, ein Stau aufbaute. Selbst bei einem beweglichen Engpass (aufgrund des langsamer fahrenden Testwagens) kam es zu einer Stockung im Verkehrsfluss.
    Auf mehrspurigen Schnellstraßen bewirken Engpässe eine Situation, in der sich der Verkehr auf den verschiedenen Fahrbahnen unterschiedlich schnell voranbewegt: Das ist einer der Gründe, warum Engpässe so misshellig sind. (Man könnte annehmen, dass die unterschiedlichen Geschwindigkeiten sich letztendlich wieder ausgleichen und man die links überholenden Autos schließlich einholt – ein Irrtum.) Jedenfalls kommt es bei unterschiedlichen Verkehrsgeschwindigkeiten auf den Fahrbahnen zu häufigerem Spurwechsel, was die Autofahrer wiederum vorsichtiger macht: Sie erhöhen infolgedessen den Abstand, was seinerseits paradoxerweise zu erhöhtem Fahrbahnwechsel führt (weil so der Freiraum zwischen den Autos größer wird). Am Ende fasst jede Fahrbahn einer mehrspurigen Autobahn im Vergleich zu einspurigen Schnellstraßen zehn Prozent weniger Autos.
    Je dichter der Verkehr auf einer Straße, desto schwieriger wird für die Fahrer die Koordination. Jeder muss die Entscheidungen anderer vorwegnehmen, und weil Informationen nur über Bremslichter und Blinkzeichen vermittelt werden (die bestenfalls grobe Indikatoren sind), führt das Vorausahnen des Verhaltens anderer oft zu Überreaktionen. Und es genügt schon ein einziger Fahrer, der zu übertriebenem Bremsen neigt, um das Tempo über die ganze Länge einer Schnellstraße zu reduzieren. Da die Fahrer zudem über kein Gesamtbild der Verkehrssituation verfügen, sind ihre Entscheidungen – ob sie nun bei dieser Ausfahrt abbiegen, besser im schleppenden Fluss weiterfahren, auf ihrer Fahrbahn bleiben sollten oder ob es besser wäre, auf die andere zu wechseln – recht unvorhersehbar. Ein Vogelschwarm wahrt in vergleichbaren Situationen seine elegante Formation und geordnete Bewegung. Die Autofahrer dagegen geraten mit ihren Vehikeln ins Stocken und Stottern, in die Unordnung eines Staus.

3
    Die Verschiedenartigkeit der Fahrer ist ein Grund für die Koordinationsschwierigkeiten auf den Straßen. Wir haben an früherer Stelle erkannt, dass Diversität unter den Akteuren für viele kluge Entscheidungsfindungen von essentieller Bedeutung ist. Beim Lösen von Koordinationsaufgaben kann sie allerdings auch erschwerend wirken. Mitch Resnick demonstrierte dies schon vor etlichen Jahren anhand einer Verkehrssimulation, die er mit seinem Computerprogramm Star-Logo entwickelte – sie stellte einen der ersten Versuche dar, modellhaft zu erfassen, wie individuelle Interaktionen unerwartete Ergebnisse zeitigen. Resnick beschreibt in seinem Buch Turtles, Termites and Traffic Jams [»Schildkröten, Termiten und Verkehrsstaus«], dass der Verkehr in dieser Simulation störungsfrei floss, solange die Autos in regelmäßigen Intervallen starteten und im gleichen Tempo fuhren. Sobald aber ihr Tempo variierte und die Fahrer dann durch Bremsen oder Beschleunigung aufeinander reagieren mussten, setzten Verkehrsstockungen ein. Und sobald in die Positionierung und Geschwindigkeit der Wagen auch nur ein bisschen Willkür einprogrammiert wurde, fing der Ärger an. In ähnlicher Weise konnte auch das

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