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Die Weisheit des Feuers

Die Weisheit des Feuers

Titel: Die Weisheit des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Paolini
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man ertragen konnte. Die Varden glaubten, dass jemand, der die Position eines Stammesfürsten oder Feldherrn anstrebte, bereit sein sollte, für das Wohl seines Volkes größeren Schmerz auszuhalten als jeder andere. Wie sonst konnten sie sich darauf verlassen, dass ihr Anführer das Gemeinwohl über seine eigenen egoistischen Wünsche stellen würde? Nasuada war der Meinung, diese Praxis fördere den Extremismus, aber sie wusste ebenfalls, dass die Geste einem das Vertrauen des Volkes einbrachte. Auch wenn die Probe der Langen Messer nur bei den dunkelhäutigen Stämmen Brauch war, würde ein Sieg über Fadawar ihre Stellung unter allen Varden und hoffentlich auch bei König Orrins Leuten stärken.
    Sie sandte noch schnell einen Hilferuf an Gokukara, die Heuschreckengöttin, und zog dann das Messer über ihren Arm. Das scharfe Metall glitt so leicht durch ihre Haut, dass sie aufpassen musste, nicht zu tief zu schneiden. Der Schmerz jagte ihr einen Schauder durch die Glieder. Am liebsten hätte sie das Messer im hohen Bogen von sich geworfen und stöhnend die Hand auf die Wunde gepresst.
    Doch sie tat nichts dergleichen, sondern achtete nur darauf, dass ihre Muskeln entspannt blieben. Wenn sie sie anspannte, würde es nur noch mehr wehtun. Und sie lächelte sogar, während die Klinge langsam ihren Körper verstümmelte. Es dauerte nur drei Sekunden, aber in dieser Zeit sandte ihr aufbegehrender Körper tausend Schmerzensschreie aus und jeder von ihnen ließ sie fast aufgeben. Als sie das Messer sinken ließ, bemerkte sie, dass die Stammesangehörigen noch immer auf ihre Trommeln eindroschen, obwohl sie nichts mehr hörte außer ihrem eigenen Pulsschlag.
    Dann schnitt Fadawar sich zum zweiten Mal. Die Sehnen an seinem Hals traten deutlich hervor, und seine Halsschlagader wölbte sich, als würde sie jeden Augenblick platzen, während das Messer erneut seine blutige Spur zog.
    Nasuada wurde klar, dass sie wieder an der Reihe war. Dass sie jetzt wusste, was sie erwartete, machte ihr nur noch mehr Angst. Ihr Selbsterhaltungstrieb - ein Instinkt, der ihr bei vielen anderen Gelegenheiten gute Dienste erwiesen hatte - kämpfte gegen die Befehle an, die sie an Arm und Hand sandte. Verzweifelt konzentrierte sie sich auf ihren Wunsch, die Varden zu beschützen und Galbatorix zu stürzen; die beiden großen Ziele, die ihr ganzes Dasein bestimmten. Sie sah ihren Vater und Jörmundur und Eragon und das Volk der Varden im Geiste vor sich und dachte: 
Für sie! Ich tue es für sie. Ich bin geboren, um zu dienen, und das ist mein Dienst an ihnen.
    Dann machte sie den nächsten Schnitt.
    Einen Augenblick später setzte Fadawar den dritten Schnitt und Nasuada tat es ihm nach.
    Der vierte Schnitt folgte nur wenig später.
    Dann der fünfte …
    Eine seltsame Lethargie ergriff von ihr Besitz. Sie war todmüde und fror. Da wurde ihr plötzlich klar, dass die Fähigkeit, Schmerz auszuhalten, vielleicht gar nicht entscheidend für den Ausgang der Probe war, sondern vielmehr die Frage, wer zuerst verblutete. Das Blut rann ihr übers Handgelenk die Finger hinab und tropfte in die große Pfütze zu ihren Füßen. Eine ähnliche, wenn auch größere sammelte sich um Fadawars Stiefel.
    Die Reihe klaffender Schnitte am Arm des Feldherrn erinnerte Nasuada an Fischkiemen, eine Vorstellung, die etwas unglaublich Komisches an sich hatte, sodass sie ein Kichern unterdrücken musste.
    Mit einem Schrei schaffte es Fadawar, den sechsten Schnitt zu vollenden. »Mach mir das erst mal nach, du törichte Hexe!«, brüllte er über den Lärm der Trommeln hinweg und sank auf ein Knie.
    Sie tat es.
    Fadawar zitterte, als er das Messer von der rechten Hand in die linke wechselte. Die Tradition schrieb höchstens sechs Schnitte pro Arm vor, damit niemand Gefahr lief, die Venen und Sehnen am Handgelenk zu verletzen. Als Nasuada ebenfalls die Hand wechselte, sprang Orrin dazwischen. »Halt! Ich werde nicht zulassen, dass Ihr weitermacht. Ihr bringt Euch noch um.«
    Er wollte Nasuada wegziehen, fuhr aber zurück, als sie nach ihm stach. »Mischt Euch nicht ein«, knurrte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
    Nun fing Fadawar mit dem rechten Arm an und ein Blutstrahl spritzte zwischen seinen Muskeln hervor. 
Er verkrampft sich,
 dachte Nasuada und hoffte, dass ihn dieser Fehler zur Strecke brachte.
    Sie konnte nicht anders, als einen wortlosen Schrei auszustoßen, als das Messer ihre Haut aufschlitzte. Die scharfe Klinge brannte wie ein weißglühender Draht.

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