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Die Weisheit des Feuers

Die Weisheit des Feuers

Titel: Die Weisheit des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Paolini
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Mitten im Schnitt zuckte ihr malträtierter linker Arm. Das Messer machte die Bewegung mit und ließ einen langen Zickzackschnitt zurück, der doppelt so tief war wie die anderen. Sie hielt den Atem an, während sie die Qual herunterkämpfte. 
Ich kann nicht mehr,
dachte sie. 
Ich kann nicht... kann nicht! Das ist zu viel. Lieber will ich sterben... Ach, bitte mach, dass es aufhört!
 Die stummen Verzweiflungsrufe verschafften ihr ein wenig Erleichterung, aber tief im Herzen wusste sie genau, dass sie niemals aufgeben würde.
    Zum achten Mal setzte Fadawar jetzt das Messer an, die Klinge schwebte ein Viertel Zoll über seiner schwarzen Haut in der Luft. Dabei lief ihm der Schweiß über die Augen und seine Wunden weinten rubinrote Tränen. Es sah fast so aus, als habe ihn der Mut verlassen, doch dann bleckte er die Zähne und schnitt sich mit einem Ruck den Arm auf.
    Sein Zögern gab ihr neue Kraft. Ein grimmiger Ehrgeiz ergriff von ihr Besitz und verwandelte ihren Schmerz in ein Gefühl von Euphorie. Sie tat es Fadawar gleich - und dann, angespornt von ihrer plötzlichen Unerschrockenheit, setzte sie das Messer gleich noch einmal an.
    »Macht mir 
das
 erst mal nach«, flüsterte sie.
    Die Aussicht, gleich zwei Schnitte auf einmal machen zu müssen - einen, um mit Nasuada gleichzuziehen, und einen, um sie zu übertrumpfen -, schien Fadawar zu verunsichern. Er blinzelte, leckte sich die Lippen und veränderte seinen Griff am Messer dreimal, bevor er es sich endlich über den Arm hielt.
    Dann leckte er sich erneut über die Lippen.
    Seine linke Hand zuckte und das Messer fiel ihm aus den verkrampften Fingern und bohrte sich mit der Spitze voran in den Boden.
    Er bückte sich danach. Unter seinem Gewand hob und senkte sich sein Brustkorb rasend schnell. Er hob die Klinge an seinen Arm und prompt sickerte ein wenig Blut hervor. Fadawars Unterkiefer knirschte, ein Schauder durchzuckte ihn, dann krümmte er sich und presste die verwundeten Arme an den Leib. »Ich unterwerfe mich«, sagte er.
    Die Trommeln verstummten.
    Die darauf folgende Stille hielt nur einen Moment an, ehe König Orrin, Jörmundur und alle anderen im Zelt begeistert durcheinanderriefen.
    Nasuada achtete nicht auf ihre Äußerungen. Sie tastete nach ihrem Stuhl, um ihre Beine zu entlasten, bevor sie unter ihr nachgaben. Als ihr schwarz vor Augen zu werden drohte, rang sie darum, bei Bewusstsein zu bleiben, denn vor den Stammesangehörigen in Ohnmacht zu fallen, war das Letzte, was sie wollte. Jemand drückte sanft ihre Schulter, und als sie aufsah, erkannte sie, dass Farica mit einem Stapel Verbandszeug neben ihr stand.
    »Darf ich Euch verbinden, Herrin?«, fragte die Dienerin, ihre Miene war besorgt und zögernd zugleich, als wäre sie nicht sicher, wie Nasuada reagieren würde.
    Nasuada nickte zustimmend.
    Während Farica anfing, ihre Arme mit Leinenstreifen zu umwickeln, traten Naako und Ramusewa vor sie. Sie verbeugten sich und Ramusewa sagte: »Noch nie zuvor hat jemand bei der Probe der Langen Messer so viele Schnitte ertragen. Ihr habt alle beide sehr viel Mut bewiesen, aber Ihr seid zweifellos die Siegerin. Wir werden unserem Volk von Eurer Tat berichten und sie werden Euch den Treueeid schwören.«
    »Danke«, sagte Nasuada. Sie schloss die Augen, weil das Pulsieren in ihren Armen stärker wurde.
    »Herrin.«
    Um sich herum hörte Nasuada Stimmengewirr, das zu verstehen sie sich nicht die Mühe machte. Stattdessen zog sie es vor, sich tief in sich selbst zurückzuziehen, wo der Schmerz nicht so unmittelbar und bedrohlich war. Sie schwebte in einem grenzenlosen schwarzen Raum, beleuchtet von formlosen Klecksen, die ständig die Farbe änderten.
    Da wurde ihre Ruhepause von Triannas Stimme unterbrochen, als die Zauberin sagte: »Lass das, Dienstmagd, entferne die Bandagen, damit ich deine Herrin heilen kann.«
    Nasuada öffnete die Augen und bemerkte Jörmundur, König Orrin und Trianna, die sich über sie beugten. Fadawar und seine Männer hatten das Zelt verlassen. »Nein«, sagte Nasuada.
    Die Gruppe sah sie erstaunt an, dann sagte Jörmundur: »Nasuada, Euer Geist ist umnachtet. Die Probe ist vorbei. Ihr braucht diese Schnitte jetzt nicht mehr. In jedem Fall müssen wir die Blutungen stillen.«
    »Farica macht das sehr gut. Ein Heiler soll die Wunden nähen und einen Umschlag gegen die Schwellung machen, das ist alles.«
    »Aber warum?«
    »Die Probe der Langen Messer verlangt von den Teilnehmern, ihre Wunden in ihrem natürlichen Tempo

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