Die Weisheit des friedvollen Kriegers
Umständen, die uns das Leben bietet, den Geist am Werk, in allen Hochs und Tiefs, in Freunden und Gegnern. Überall um uns herum nehmen wir die Weisheit wahr und wägen alles, was wir lernen (auch von Lehrern, denen wir vertrauen), gegen die Empfehlungen unseres Herzens ab.
Der unsichtbare Weg der Bewusstwerdung
»Der Weg des Kriegers führt über subtile Stufen, die für den Uneingeweihten nicht zu erkennen sind. Bisher wollte ich dir nur zeigen, was ein Krieger nicht ist. Ich habe dir deine eigenen Irrtümer vor Augen geführt. Vielleicht wirst du’s bald begreifen. «
Der Weg der persönlichen Entwicklung ist nicht glamourös, und am Ende winkt kein glänzendes Abzeichen. Ein voll entfalteter Mensch kann sich ganz ruhig und normal verhalten, ergreift aber auch manchmal voller Begeisterung und Leidenschaft das Wort. Er übernimmt immer genau die Rolle, die gerade angemessen ist. Nur Menschen, die in der Lage sind, ein bestimmtes
Augenzwinkern, Energie, Klarheit und Ausgeglichenheit wahrzunehmen, erkennen überhaupt einen friedvollen Krieger. Dieses Urteilsvermögen stellt sich im Zuge der inneren Arbeit ganz wie von selbst ein. Nachdem ich das Wesen meiner eigenen Seele und meines Herzens begriffen hatte, konnte ich allmählich auch in den Herzen und Seelen der (sogenannten) anderen das Licht erkennen.
Vertraue auf Gott, vergiss aber nicht, dein Kamel anzubinden
Aus einer Schublade holte Socrates ein paar lange Bänder, mit denen er mich an die Stuhllehne zu fesseln begann.
Ob wir zulassen sollten, dass uns der Lehrer oder sonst jemand an einen Stuhl fesselt? Vielleicht ja, vielleicht auch lieber nicht – es hängt ganz vom Vertrauen ab, das sich aufgebaut hat. (Beim ersten Treffen mit einem Unbekannten würde ich es unter keinen Umständen empfehlen.) Beim damaligen Stand der Beziehung zu meinem Mentor Socrates war ich jedenfalls bereit, das Risiko einzugehen. Heute finde ich, dass das Ganze ziemliche Effekthascherei war – ich habe ja schon gesagt, dass Socrates ganz genau wusste, wie man Leute beeindrucken kann.
Als Socrates mich auf unbekanntes Terrain beförderte, fühlte es sich an wie der erste Fallschirmsprung aus großer Höhe. Zwar wusste ich im Grunde, dass mir aller Wahrscheinlichkeit nach nichts zustoßen würde,
aber trotzdem war es ein Sprung ins Leere, ein Akt des Vertrauens.
Flüge der Fantasie
»Sag mal, soll das eine Flugreise werden?«, fragte ich nervös.
»Ja, in gewissem Sinn«, murmelte er. Dann kniete er sich hin, nahm meinen Kopf zwischen seine beiden Hände und drückte mir die Daumen leicht gegen die Stirn. Mir klapperten die Zähne.
(…)
Nun wanderten wir beide durch einen langen, von blauen Nebelschwaden verhangenen Korridor. Meine Füße bewegten sich, aber ich spürte keinen Boden unter mir. Plötzlich ragten zu beiden Seiten hohe Bäume auf. Die Bäume verwandelten sich in Hochhäuser, und die Hochhäuser verwandelten sich in Felszinnen, und dann kletterten wir eine steile Schlucht hinauf.
Die Nebel hatten sich verzogen. Es war eiskalt. Unter uns erstreckte sich meilenweit eine geschlossene grüne Wolkendecke, die sich am Horizont in einen orangeroten Himmel auflöste.
(…)
Wir tauchten ein in die grünliche Wolkenschicht, und im nächsten Moment schaukelten wir wie zwei betrunkene Riesenspinnen im Deckengebälk eines Sport-Stadions.
(…)
»Ich habe dich festgebunden, weil du vom Stuhl gekippt wärst vor Schreck, als du wie Peter Pan durch die Lüfte flogst.«
»Oh, bin ich wirklich geflogen? So ist’s mir jedenfalls vorgekommen. «
»Es war ein Flug deiner Fantasie, könnte man sagen.«
Nach den inneren Reisen, auf die mich Socrates schickte, indem er mir die Hände auf die Schläfen legte, haben sich viele Leser bei mir erkundigt. In gewisser Weise waren diese visionären Erfahrungen frei erfunden, andererseits aber auch durchaus authentisch.
Sie wurden, wie bereits erwähnt, nicht dadurch ausgelöst, dass Socrates meinen Kopf berührte. Vielmehr machte ich diese Reisen auf jenem geheimnisumwitterten Terrain, das wir gemeinhin »Fantasie« nennen.
Gewisse Dinge werden häufig mit einem lapidaren »Ach, das ist doch reine Fantasie« abgetan. Andererseits zitiert man auch gern die Worte Albert Einsteins, der sinngemäß meinte: »Es kommt viel mehr auf Fantasie an als auf Wissen.« Und warum, bitte, sollte ein derart brillanter Naturwissenschaftler eine solche These aufstellen? Womöglich, weil er erkannt hatte, dass alle großen
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