Die weiße Bestie: Thriller (German Edition)
Holz und keine Zweige für die Feuerstelle sammeln musste. Normalerweise war es Sallys Aufgabe, Brennholz zu holen, aber der Krater, in dem sie die Zweige fand, lag ein Stück außerhalb des Dorfes, und im Moment war es für kleine Mädchen gefährlich, sich allein außerhalb des Dorfes aufzuhalten, hatte die Mutter gesagt.
Sally fand, es war nicht nett von ihrer Mutter, sie als kleines Mädchen zu bezeichnen, sie war jetzt immerhin schon zehn Jahre alt, aber sie war schlau genug, nichts zu sagen, denn sonst könnte es passieren, dass die Mutter ihre Meinung änderte und sie doch Brennholz holen musste.
Anschließend hatte ihre Mutter übrigens noch hinzugefügt, dass besonders kleine hübsche Mädchen nicht allein dort hinausgehen sollten. Das fand Sally schön gesagt. Sie selbst hielt ihre Arme und Beine für viel zu dünn– sie ähnelten den Zweigen, die sie für die Feuerstelle sammelte–, und das kurze, braune Kleid der Schuluniform füllte sie überhaupt nicht aus. Aber die Farbe ihrer Haut konnte sie gut leiden; sie war ganz dunkel. Auch die Augen waren braun, selbstverständlich. Es gab nur einen Jungen im Dorf mit grünen Augen und sehr hellbrauner Haut. Seine Mutter war sicher einmal eine sehr gute Freundin eines weißen Mannes gewesen, aber darüber sollte man nicht sprechen.
Auch ihre Haare konnte sie gut leiden, besonders nachdem sie die gleichen kleinen Zöpfe wie ihre beste Freundin Makena bekommen hatte; solche, die ganz eng an der Kopfhaut anlagen.
Und vielleicht hatte ihre Mutter recht damit, dass es außerhalb des Dorfes gefährlich war.
Auf jeden Fall war etwas mit zwei Mädchen aus der Schule passiert, von dem sie nicht wissen durfte, was es war, was sich aber unheimlich anhörte. Sally wusste, dass die beiden auch häufig Zweige aus dem Krater holten.
Makena, die neben Sally an dem zerkratzten Pult saß, stieß ihr mit dem Ellenbogen in die Seite. Sie grinsten sich an, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Rechenaufgaben richteten.
4
Caroline zog den Sicherheitsgurt straff, worum der Pilot und das leuchtende Schild über ihrem Kopf soeben gebeten hatten. Unter ihnen zeigte sich Nairobi. Sie streckte die Beine aus, ohne den Vordersitz zu treffen; einer der Vorteile, wenn man Businessclass flog.
In Gedanken versunken nahm sie den A 4 -Umschlag mit Mama Lucys Briefen. In den vergangenen Tagen hatte sie die Briefe mehrfach gelesen, und jedes Mal hatten sie ihr Schauer über den Rücken gejagt. Besonders einer von ihnen.
Auf den Briefen stand kein Datum, aber sie waren nummeriert. Der erste Brief war höflich und erklärte ruhig, warum Dana Oil den Männern in Mama Lucys Dorf, Asabo, mehr Arbeit anbieten musste. In den nachfolgenden drei Briefen änderte sich der Ton und wurde mit jedem Brief derber und anklagender. Es war zutiefst ungerecht zu sehen, wie das Nachbardorf aufblühte, schrieb Mama Lucy. Caroline fiel es schwer zu begreifen, warum ein blühendes Nachbardorf für Dana Oil relevant war, aber es war deutlich, dass diese Mama Lucy darauf abzielte. Die Wut stieg wie ein giftiger Dampf von dem Papier auf.
Es war jedoch der fünfte und letzte Brief, der Carolines Nackenhaare dazu brachte, sich aufzurichten. Der Brief war länger als die anderen, der Einzige, der auch auf der Rückseite beschrieben war, und er war voll von Beschuldigungen darüber, wie Dana Oil das Leben in dem Dorf zerstörte. Es war dieser Brief, in dem Mama Lucy schrieb, dass kleine Mädchen gefangen und » schlimme Dinge mit ihnen gemacht « worden waren. Auf der Rückseite des Briefes hatte sie beschrieben, wie eines der Mädchen so derb vergewaltigt worden war, dass in der Wand zwischen Scheide und Blase Löcher entstanden waren und das Mädchen daher ständig nach Urin roch.
Caroline versuchte, das Unwohlsein abzuschütteln.
Vielleicht war die Rede von einer paranoiden Querulantin, wie Markvart und John Hansen behaupteten, aber die Verzweiflung wirkte sehr echt.
Sie steckte den Umschlag mit den Briefen in die Tasche zu dem Buch » Verblendung « . Sie hatte die Absicht gehabt, während des Fluges zu lesen– bald musste sie der einzige Mensch in Dänemark sein, der den schwedischen Krimi noch nicht gelesen hatte–, aber der Großteil der Reise war damit vergangen, sich auf das morgige Treffen mit John Hansen vorzubereiten. Vor allem hatte sie darüber gegrübelt, ob sie ihm von den Briefen erzählen sollte.
Es gab keinen Zweifel daran, dass sie es tun musste.
Wenn sie und John Hansen
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