Die weiße Bestie: Thriller (German Edition)
nett miteinander reden würde, würde alles funktionieren. Sie würde kein Verständnis für die Methoden haben, die man gezwungen war, hier in der wirklichen Welt anzuwenden. Und er wusste, würde sie zu sehr im Lack kratzen, konnte sie seinen Ruhestand zunichtemachen.
John Hansen betrachtete seine Geschäftsmethoden weder als kriminell noch als unmoralisch, lediglich als notwendig. Man machte in Afrika keine Geschäfte, ohne dass es etwas kostete, aber dafür hatte man kein Verständnis im schönen, kleinen Dänemark.
6
Heute sollte Sally nicht in die Schule gehen. Es war das erste Mal nach sehr langer Zeit, dass sie einen Schultag verpasste, und das war richtig ärgerlich. Die Lehrerin würde heute Geschichten lesen, und Sally liebte es, wenn ihnen vorgelesen wurde. Dann saß sie da und stellte sich Bilder von alldem vor, von dem die Lehrerin erzählte, während sie ihrer sanften Stimme lauschte und dachte, wie gut die Lehrerin darin war, so zu sprechen, dass es sich anhörte, als würde sie eine wahre Geschichte erzählen.
Aber selbstverständlich musste sie heute ihrer Mutter helfen, das war klar.
Gestern Nachmittag wollte die Mutter Chai machen. Wie immer hatte sie Wasser in dem großen Topf gekocht, der über der Feuerstelle hing, und als das Wasser kochte, hatte sie sich nach unten gebeugt, um den schweren Topf vom Haken über dem Feuer zu nehmen. Aber anstatt sich wieder aufzurichten, war sie gebeugt stehen geblieben. Zuerst hatte Sally nicht verstanden, was passierte– ihr wurde immer gesagt, sie solle den Kopf von dem heißen Feuer fernhalten, also musste es doch auch für die Mutter heiß sein.
Aber dann hatte die Mutter gesagt, sie könne sich nicht aufrichten. Der Rücken hatte geknackt. Mit Mühe hatte Sally ihr den schweren Topf abgenommen und ihr geholfen, vornübergebeugt auf eine sehr wunderliche Weise von der Feuerstelle weg und in die Hütte zu gehen, um sich hinzulegen.
Als die Sonne hinter den niedrigen Häusern des Dorfes unterging, war es Zeit geworden, das Abendessen zuzubereiten. Es wurde Holz für die Feuerstelle benötigt, aber der Mutter hatte noch immer der Rücken wehgetan.
Sally hatte angeboten, sich zu beeilen und etwas aus dem Krater zu holen, aber davon wollte die Mutter nichts hören. Sie hatten gewartet, dass David nach Hause kam, damit er Brennholz holen konnte, aber der Bruder war nicht gekommen. Schließlich hatte die Mutter Sally zu den anderen Hütten geschickt, um Äste und Zweige zu borgen. Sally konnte es nicht leiden, darum zu bitten, weil sie wusste, dass die anderen Frauen dann gezwungen waren, schon bald wieder in den Krater zu gehen.
Die Mutter hatte sich die ganze Nacht über gedreht und gewendet, während sie vor Schmerzen stöhnte. Sally war mehrfach aufgewacht, denn die Hütte der Familie hatte nur einen Raum. Dann hatte sie dagelegen und in die Dunkelheit geschaut. Neben der Tür hatte sie den kleinen, schiefen Tisch sehen können, den der Vater einmal gemacht hatte, als er sehr glücklich war. Zu dem Tisch gab es zwei Stühle, aber nur auf dem einen konnte man sitzen. An der Wand stand ein altes Regal mit den Sachen der Familie und eine große, braune Kiste mit Kleidung. Neben der Kleiderkiste stand ein Gestell, das die Mutter in der Stadt gefunden hatte und an dem die Schuluniformen hingen. Sally hatte den Umriss des Gestells erkennen können.
Auf der anderen Seite der Hütte lagen die Schlafmatten der Familie. Hier hatte Sally gelegen. Sie zählte oft die Rillen in der Decke, aber in dem Moment war es zu dunkel gewesen.
Als sie am Morgen aufgestanden waren, war der Rücken der Mutter noch immer krumm gebeugt, und sie hatte tiefe Furchen im Gesicht. Du kannst nicht in die Schule gehen, Sally, hatte sie gesagt, heute musst du mir helfen, Essen zu machen, zu fegen, zu waschen und auf die Kleine aufzupassen. Sally hatte versucht, ihren Ärger zu verbergen.
Das Einzige, was ihr die Mutter immer noch verbot, war, Brennholz im Krater zu holen. Das musste David machen. Er hatte die Hütte sehr früh am Morgen verlassen, aber jetzt war es später Vormittag, und sie rechneten damit, dass er bald nach Hause kommen würde, denn im Augenblick gab es keine Arbeit.
Als Sally die Hütte gefegt und Wasser geholt hatte, war es Zeit, eine Pause zu machen.
Sie holte eines der Bücher, die sie von der Lehrerin ausgeliehen hatte, und setzte sich, mit dem Rücken an die Hütte gelehnt, in den Schatten. Die Geschichte handelte von einem kleinen Jungen, der mit den
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