Die weiße Bestie: Thriller (German Edition)
würden. Die Mutter hatte sie gebeten, den Vater zu fragen, und ihr Vater hatte ihr versprochen, er würde ihr helfen, wenn die große Sache, an der er arbeitete, beendet war. Aber nach dieser Sache war eine neue Sache gekommen. Und noch eine.
Neben den Haien war der Schwertwal ihr Favorit gewesen. Sie liebte die Art, wie er einem lächelnden Kuscheltier und gleichzeitig einem aggressiven Raubtier ähnelte. Wenn jemand sie gefragt hatte, was sie werden wollte, wenn sie groß war, hatte sie geantwortet: Haipflegerin. Oder Anwältin, hatte sie hinzugefügt, wenn ihr Vater anwesend war. Je älter sie geworden war, desto öfter hatte sie nur » Anwältin « geantwortet. Irgendwann hatte sie die Haie gar nicht mehr erwähnt.
Sie näherten sich Asabo, und Caroline richtete ihre Gedanken auf das bevorstehende Treffen. Sie sollten mit der Lehrerin sprechen, die Daniel angerufen hatte, mit der Mutter des belästigten Mädchens oder angeblich belästigten, erinnerte sie sich selbst, mit dem Mädchen selbst und dem Dorfältesten.
Sie freute sich auf keines der Treffen.
In ihrer Zeit in der Anwaltskanzlei hatte sie Hunderten von zänkischen, zurückgewiesenen, vorlauten und widerwärtigen gegnerischen Parteien gegenübergesessen, und wenn sie ihr zu sehr auf den Leib gerückt waren, hatte sie einen Trick gehabt, der dazu führte, dass sie professionell auftreten konnte, ungeachtet dessen, wie unbehaglich die Stimmung wurde.
Sie stellte sich vor, sie würde sich direkt hinter sich selbst befinden. Die Caroline, die der Gegner ansah, beleidigte, bedrohte, war nur eine Hülle. Dann konnte sie selbst einen Schritt dahinterstehen, auf das schauen, was vor sich ging, und dementsprechend handeln. Die einzigen Male, bei denen der Trick versagt hatte, waren die Fälle, in denen der Mandant der Gegenpartei zusammengebrochen war. Das war nicht oft passiert, da die Mandanten in der Regel Geschäftsleute waren, die sich um berufliche Angelegenheiten stritten, und daher in der Lage waren, persönliche Gefühle außen vor zu lassen.
Sie parkten an der gleichen Stelle wie beim letzten Mal. Stanley blieb im Auto sitzen, und Daniel wies ihr den Weg in das Dorf. Die Sonne brannte von einem wolkenlosen Himmel, und Caroline wischte sich zum zehnten Mal innerhalb der letzten fünf Minuten die Hände an der Hose ab. Das erste Mal in ihrem Leben trug sie bei der Arbeit Jeans. Sie waren als Letztes im Koffer gelandet, bevor sie von zu Hause losgefahren war, und sie hatte sich eigentlich nicht vorstellen können, dass sie sie brauchen würde, aber jetzt war sie froh, sie mitgenommen zu haben. Staub und Hitze waren trotz allem einfacher zu meistern, wenn man in Denim anstatt in Wolle gekleidet war.
Sie gingen zwischen den niedrigen Häusern des Dorfes hindurch. Alles war mit einer braunen Schicht aus Staub bedeckt, die Caroline allmählich gut kannte.
» Das muss die Schule sein « , sagte Daniel und zeigte auf ein graues Gebäude, das länger als die umliegenden Häuser war.
Als sie sich näherten, hörte Caroline durch die Fensterlöcher oben in der Mauer des Gebäudes zuerst die Stimme eines Erwachsenen und danach eine Kinderstimme. Sie verstand die Sprache nicht, nahm aber an, es war ein Lehrer, der einen Schüler etwas gefragt hatte. Daniel klopfte an die braune Tür und trat ein. Kurz darauf war er zurück bei Caroline, gefolgt von einer großen, schlanken, schwarzen Frau in einem langen, dunkelblauen Rock und einer kreideweißen Bluse. Die Haare waren im Nacken zusammengebunden, und sie schaute Caroline mit festem Blick an.
» Willkommen. « Sie streckte die Hand zur Begrüßung aus.
» Danke « , antwortete Caroline und ergriff die Hand. Die Lehrerin hatte einen festen Händedruck. » Und danke, dass wir kommen durften .«
Die Lehrerin nickte und bat sie, ihr zu folgen. Sie führte sie hinter das Schulgebäude zu einem kleinen, offenen Platz, der, nach dem einzelnen Fußballtor mit einem löchrigen Netz zu urteilen, der Schulhof der Kinder war. Ein paar Holzbänke standen im Schatten unter dem Dach der Schule an der Hausmauer, und am Rand des Platzes lag noch ein kleines Gebäude, vermutlich ein Schuppen.
Die Lehrerin bemerkte Carolines Blick.
» Ja, wir haben nicht so viel. Uns fehlen ordentliche Räume, uns fehlen Bücher und Arbeitsmittel für die Kinder « , konstatierte sie nüchtern.
Caroline lächelte verlegen.
Die Lehrerin führte sie zu dem kleinen Gebäude am Ende des Platzes und bat sie hinein. Sie gestikulierte in
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