Die Weiße Burg
wenig seltsam vorzukommen wie das Gefühl der unsichtbaren beobachtenden Augen. Nichts davon war tatsächlich real, so waren die Dinge im Tel'aran'rhiod eben. Eine Widerspiegelung der Realität und ein Traum, alles durcheinander geworfen.
Alles in der Welt der Träume fühlte sich leer an, aber dieser Raum hatte die nagende Leere, die nur von einem Ort kommen konnte, der in der wachen Welt verlassen war. Vor nicht einmal so vielen Monaten war dieser kleine Raum das Studierzimmer der Amyrlin gewesen, das Gasthaus, in dem es sich befand, hatte man die »Kleine Burg« genannt, und das Dorf namens Salidar, das man dem wuchernden Wald wieder entrissen hatte, war das Herz des Widerstands gegen Elaida gewesen. Wäre sie jetzt nach draußen gegangen, hätte sie Schösslinge gesehen, die sich mitten auf der Straße durch den Schnee schoben, Straßen, die man auf so mühsame Weise instand gesetzt hatte. Noch immer Reisten Schwestern nach Salidar, um die Taubenhöhlen zu besuchen, von der Furcht getrieben, dass eine von ihren Augen-und-Ohren geschickte Brieftaube in die falschen Hände geraten konnte, aber das galt nur für die wache Welt. Hier zu den Taubenhöhlen zu gehen würde so sinnlos sein wie der Wunsch, dass einen die Tauben wunderbarerweise fanden. Zahme Tiere schienen in der Welt der Träume keine Widerspiegelungen zu haben, und nichts, was hier geschah, konnte die wache Welt berühren. Schwestern, die Zugang zu den Traum- Ter'angrealen hatten, besuchten andere Orte als ein verlassenes Dorf in Altara, und mit Sicherheit hatte keine einen Grund, um in diesen Traum zu kommen. Das war einer der Orte in der Welt, an dem Egwene sicher sein konnte, von niemandem überrascht zu werden. Bei zu vielen anderen stellte sich heraus, dass es Lauscher gab. Oder sie flößten einem tiefe Traurigkeit ein. Sie hasste es, sich ansehen zu müssen, was aus den Zwei Flüssen geworden war, seit sie sie verlassen hatte.
Während sie auf Elayne wartete, versuchte sie, ihre Ungeduld zu zügeln. Elayne war keine Traumgängerin; sie musste ein Ter'angreal benutzen. Und sie würde zweifellos Aviendha Bescheid sagen wollen, wo sie hinging. Doch als sich die Minuten in die Länge zogen, schritt Egwene gereizt auf den groben Bodendielen auf und ab. Hier verging die Zeit anders. Eine Stunde im Tel'aran'rhiod konnte Minuten in der wachen Welt sein, aber auch genau umgekehrt. Elayne konnte sich wie der Wind bewegen. Egwene überprüfte ihre Kleidung, ein graues Reitgewand mit aufwändiger grüner Stickerei auf dem Oberteil und breiten Streifen auf den abgenähten Röcken - hatte sie an die Grüne Ajah gedacht? -, ein einfaches Silbernetz für die Haare. Die lange, schmale Stola der Amyrlin hing um ihren Hals. Sie ließ sie verschwinden, dann ließ sie sie einen Moment später wieder erscheinen. Sie musste sie nur zurückkommen lassen, nicht bewusst an sie denken. Die Stola war jetzt ein Teil dessen, wie sie sich selbst sah und sie musste als Amyrlin mit Elayne sprechen.
Die Frau, die schließlich in der Kammer erschien, war aber nicht Elayne, sondern Aviendha, die überraschenderweise mit Silber bestickte blaue Seide mit weißer Spitze am Kragen und an den Ärmeln trug. Der schwere Armreif aus geschnitztem Elfenbein an ihrem Handgelenk schien genauso wenig zu diesem Kleid zu passen wie das Traum - Ter'angreal , das von einer Lederschnur um ihren Hals baumelte, ein seltsamer, in sich verdrehter Steinring mit farbigen Flecken.
»Wo ist Elayne?«, fragte Egwene besorgt. »Geht es ihr gut?«
Die Aiel schaute überrascht an sich herunter, dann trug sie plötzlich einen dunklen, schweren Rock und eine weiße Bluse, ein dunkles Schultertuch lag um ihre Arme, und ein dunkles, zusammengefaltetes Tuch war um ihre Schläfen gebunden und hielt das rötliche Haar, das ihr nun bis zur Taille reichte, länger als im echten Leben, wie Egwene vermutete. In der Welt der Träume war alles veränderbar. Eine silberne Kette erschien um ihren Hals, komplizierte Stränge aus kunstvoll bearbeiteten Scheibchen, die die Kandori Schneeflocken nannten, ein Geschenk von Egwene, das, wie es ihr vorkam, vor langer Zeit überreicht worden war. »Sie konnte das hier nicht zum Funktionieren bringen«, sagte Aviendha, und der Armreif rutschte auf ihrem Handgelenk, als sie den verdrehten Ring berührte, der noch immer an seinem Lederband hing, jetzt nur über der Kette. »Die Ströme entgleiten ihr. Es sind die Babys.« Plötzlich grinste sie. Ihre smaragdgrünen Augen leuchteten
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