Die Weiße Burg
vermutlich sorgte sie sich, welche Auswirkungen das für Elayne haben mochte.
Das Meervolk ließ nicht nur den Cadin'sor erscheinen, sondern auch einen runden Schild aus Leder, der zusammen mit drei kurzen Aiel-Speeren neben dem Stuhl auftauchte. Egwene erwog kurz, sie zu fragen, ob es Probleme mit den Windsucherinnen gab - das heißt, Probleme, die über das übliche Maß hinausgingen -, aber sie tat es nicht. Wenn Aviendha es nicht erwähnte, dann war das eine Angelegenheit, die sie und Elayne selbst regeln wollten. Sicherlich hätte sie etwas gesagt, wenn es etwas gewesen wäre, das Egwene hätte wissen sollen. Oder?
Seufzend stellte Egwene die Tasse auf dem Tisch ab, wo sie sofort verschwand, und rieb sich mit den Fingern die Augen. Misstrauen war ein Teil von ihr geworden, das war nicht zu bestreiten. Und ohne dieses Misstrauen würde sie wohl kaum lange überleben. Aber sie wollte nicht immer so handeln, wie es das Misstrauen ihr befahl, nicht bei einer Freundin.
»Du bist müde«, sagte Aviendha, wieder in der weißen Bluse und dunklem Rock und Schultertuch, eine besorgte Weise Frau mit scharfen grünen Augen. »Hast du nicht gut geschlafen?«
»Ich schlafe gut«, log Egwene und brachte ein Lächeln zustande. Aviendha und Elayne hatten ihre eigenen Sorgen, sie mussten nicht auch noch über ihre Kopfschmerzen Bescheid wissen. »Mir fällt nichts mehr ein«, sagte sie und erhob sich. »Dir etwa? Dann sind wir fertig«, fuhr sie fort, als die andere Frau den Kopf schüttelte. »Richte Elayne aus, sie soll auf sich aufpassen. Du passt auf sie auf. Und auf ihre Babys.«
»Das werde ich«, erwiderte Aviendha, jetzt in blauer Seide. »Aber du musst auch auf dich Acht geben. Ich glaube, du gönnst dir zu wenig Ruhe. Schlafe gut und wache auf«, sagte sie sanft, ein Gutenachtwunsch der Aiel, dann war sie verschwunden.
Egwene sah die Stelle, an der ihre Freundin verschwunden war, stirnrunzelnd an. Sie gönnte sich nicht zu wenig Ruhe. Sie arbeitet nur so hart, wie es nötig war. Sie schlüpfte zurück in ihren Körper und entdeckte, dass er fest am Schlafen war.
Das bedeutete nicht, dass sie schlief, jedenfalls nicht genau. Ihr Körper schlief, atmete langsam und tief, aber sie ließ sich nur tief genug hineinsinken, damit die Träume kommen konnten. Sie hätte auch bis zum Aufwachen warten und sich die Träume dann in Erinnerung rufen können, um sie in das kleine, mit Leder eingebundene Buch zu schreiben, das sie auf dem Grund einer ihrer Kleidertruhen aufbewahrte, unter den dünnen Leinenunterhemden, die man vor der Mitte des Frühlings nicht herausholen würde. Aber die Träume zu beobachten, wie sie kamen, sparte Zeit. Sie glaubte, dass ihr das bei ihrem Enträtseln helfen würde. Jedenfalls bei jenen Träumen, die mehr als die gewöhnlichen nächtlichen Phantasien waren.
Davon gab es eine Menge, oft stellten sie Gawyn in den Vordergrund, einen großen, attraktiven Mann, der sie in die Arme nahm und mit ihr tanzte und sie liebte. Einst war sie vor dem Gedanken zurückgeschreckt, mit ihm zu schlafen, selbst in ihren Träumen. Wenn sie nach dem Aufwachen darüber nachgedacht hatte, war sie immer knallrot geworden. Aber das erschien jetzt so albern, so kindisch. Sie würde eines Tages den Behüterbund mit ihm eingehen, irgendwie, und sie würde ihn heiraten und lieben, bis er um Gnade bettelte. Selbst im Schlaf ließ sie das kichern. Andere Träume waren nicht so angenehm. Durch hüfthohen Schnee zu waten, umgeben von stämmigen Bäumen, von dem Wissen erfüllt, dass sie den Waldrand erreichen musste. Aber wenn sie das Ende der Bäume sah, genügte ein Blinzeln, und es verschwand in der Ferne und ließ sie weiterlaufen. Oder sie rollte einen großen Mühlstein einen steilen Hügel hinauf, aber jedes Mal, wenn sie die Hügelkuppe fast erreicht hatte, stolperte sie und fiel und musste zusehen, wie der große Stein bis zum Fuß des Hügels zurückrollte, also musste sie wieder heruntergehen und von vorn anfangen, aber jedes Mal war der Hügel höher als zuvor. Sie wusste genug über Träume, um zu wissen, wo diese Träume herkamen und dass sie keine spezielle Bedeutung hatten. Abgesehen von der Tatsache, dass sie müde war und eine scheinbar endlose Aufgabe vor ihr lag. Aber daran war nichts zu ändern. Sie fühlte, wie ihr Körper bei den mühsamen Träumen zuckte, und versuchte, ihre Muskeln zu entspannen. Diese Art Halbschlaf war kaum besser als gar keiner, und völlig sinnlos, wenn sie sich die ganze Nacht
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