Die Weiße Burg
halbem Weg stehen zu bleiben. Sie würde sich an jeden Traum erinnern, der kam, und sie brauchte Schlaf.
Chesa kam in aller Frühe, um ihr auf einem Tablett das Frühstück zu bringen und ihr beim Ankleiden behilflich zu sein. Es war noch sehr früh. Da war nur ein Versprechen von Sonnenlicht, und Lampenlicht war nötig, um etwas zu sehen. Die Holzkohlen in der Pfanne waren während der Nacht erloschen, und die Kälte, die in der Luft hing, fühlte sich grau an. Möglicherweise würde es heute schneien. Halima wand sich in ein seidenes Unterhemd und dann in das Kleid, scherzte lachend darüber, wie gern sie eine Zofe hätte, während Chesa die Knöpfe auf Egwenes Rücken schloss. Die pummelige Frau machte ein ausdrucksloses Gesicht und ignorierte Halima. Egwene sagte nichts. Sie schwieg eisern. Halima war nicht ihre Dienerin. Sie hatte kein Recht, dieser Frau ihr Benehmen vorzuschreiben.
Chesa war gerade mit den letzten winzigen Knöpfen fertig und tätschelte Egwenes Arm, als Nisao die Zeltplane zur Seite schob und einen frischen kalten Luftschwall einließ. Der kurze Blick in der Zeit, bevor die Plane hinter ihr zufiel, verriet, dass draußen noch alles grau war. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass es schneien würde.
»Ich muss allein mit der Mutter sprechen«, sagte sie und hielt den Umhang um den Körper gezogen, als würde sie bereits den Schnee fühlen. Ein so energischer Ton war ungewöhnlich von der kleinen Frau.
Egwene nickte Chesa zu, die einen Knicks machte, ihr aber auf dem Weg nach draußen einschärfte, das Frühstück nicht kalt werden zu lassen.
Halima verharrte und betrachtete sowohl Egwene wie auch Nisao, bevor sie ihren Umhang von der Stelle aufhob, wo er in einem unordentlichen Haufen am Fuß ihrer Pritsche lag. »Vermutlich hat Delana Arbeit für mich«, sagte sie und klang gereizt.
Nisao sah der Frau stirnrunzelnd nach, dann umarmte sie wortlos Saidar und webte einen Schild um sich und Egwene, der Lauscher abwehrte, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. »Anaiya und ihr Behüter sind tot«, sagte sie. »Ein paar Arbeiter, die in der Nacht Kohlensäcke lieferten, hörten ein Geräusch, als würde jemand um sich schlagen, und wie durch ein Wunder liefen sie alle hin, um nachzusehen. Sie fanden Anaiya und Setagana im Schnee liegen. Tot.«
Egwene setzte sich langsam auf ihren Stuhl, der sich im Moment alles andere als bequem anfühlte. Anaiya, tot. Sie war keine Schönheit gewesen, aber wenn sie lächelte, wärmte das alles um sie herum. Eine durchschnittlich aussehende Frau, die Spitze auf ihren Gewändern geliebt hatte. Egwene wusste, dass sie auch für Setagana Trauer hätte verspüren sollen, aber er war Behüter gewesen. Wenn er Anaiya überlebt hätte, wäre es unwahrscheinlich gewesen, dass er noch lange gelebt hätte. »Wie?«, sagte sie. Nisao würde keinen Schild gewebt haben, nur um ihr zu sagen, dass Anaiya tot war.
Nisaos Miene verhärtete sich, und trotz des Schildes blickte sie über die Schulter, als befürchtete sie, jemand könnte am Eingang lauschen. »Die Arbeiter nehmen an, sie hätten verdorbene Pilze gegessen. Manche Bauern sind sorglos in dem, was sie verkaufen, und die falsche Sorte kann die Lungen lähmen oder den Hals anschwellen lassen, sodass man keine Luft mehr bekommt und stirbt.« Egwene nickte ungeduldig. Schließlich war sie in einem Dorf aufgewachsen. »Jeder schien bereit zu sein, das zu akzeptieren«, fuhr Nisao fort, aber sie beeilte sich nicht. Ihre Hände zupften am Saum ihres Umhangs herum; nur zögernd unterbreitete sie ihre Schlussfolgerungen. »Es gab keine Wunden, keine Verletzungen. Kein Anlass zu der Annahme, es könnte etwas anderes als ein gieriger Bauer gewesen ein, der verdorbene Pilze verkaufte. Aber...« Sie seufzte, blickte erneut über die Schulter und senkte die Stimme.
»Ich vermute, es war das ganze Gerede über die Schwarze Burg im Saal. Ich habe nach Rückständen geforscht. Sie wurden mit Saidin getötet.« Sie verzog angeekelt das Gesicht. »Ich glaube, jemand hat feste Stränge aus Luft um ihre Köpfe gewebt und sie ersticken lassen.« Schaudernd zog sie den Umhang fester um den Körper.
Auch Egwene wollte erschaudern. Sie war überrascht, dass sie es nicht tat. Anaiya, tot. Erstickt. Eine äußerst grausame Methode, jemanden zu töten, von jemandem benutzt, der gehofft hatte, keine Spuren zu hinterlassen.
»Habt Ihr es schon jemandem gesagt?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Nisao indigniert. »Ich bin geradewegs zu
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