Die weiße Frau von Devils Rock
trat vom Fenster zurück. "Bist du sicher, dass du mit diesen grausamen Geschichten umgehen kannst?", fragte er besorgt.
Charlene nickte. "Vielleicht lenken sie mich sogar ein wenig von meinen eigenen Sorgen ab", antwortete sie lächelnd. Beinahe zärtlich legte sie ihre Hand auf ein seltsam anmutendes Gestell, das sich unter ihrer Berührung leicht bewegte. "Was ist das denn?"
"Das war das Schaukelpferd, das Peter für seine kleine Tochter gemacht hatte. Da war die kleine Welt der Familie noch in Ordnung gewesen", fügte er traurig hinzu. "Der Himmel mag wissen, was Peter zum Alkohol gebracht hat. Er war einmal mehr als ein Vierteljahr auf See, das war seine längste Reise. Danach war er nicht mehr derselbe."
Charlene streichelte noch immer das Spielzeug, das nur wenig mit einem Schaukelpferd gemeinsam hatte. Dennoch hatte es da einmal ein Mädchen gegeben, das dieses Etwas sehr geliebt hatte, weil die Hände des Vaters es für sie gemacht hatten. "Wie hieß denn das Kind?", fragte die Frau und lächelte weich.
"Laird Ian erwähnte mal ihren Namen, aber ich weiß ihn nicht mehr", murmelte Marvin vor sich hin. "Sollen wir wieder nach unten gehen oder willst du dich noch ein wenig in den alten Sachen umsehen?"
"Oh, ich werde vermutlich noch ziemlich viel Zeit haben, mir alles anzusehen", antwortete Charlene und konnte sich nur schwer von dem Raum trennen. "Was meinst du, wann können wir hier einziehen? Ich fühle mich fast schon ein wenig zuhause hier. Das habe ich dir und deinen Geschichten zu verdanken", fügte sie mit kaum merklichem Lächeln hinzu.
"Ich kann mir den morgigen Tag frei halten, dann könnte ich euch helfen", schlug der Arzt vor. "Ich habe gesehen, dass ihr einiges an Kisten mitgebracht habt."
"Das wäre wundervoll", rief Charlene begeistert aus. "Ich mag Laird Ian und seine Frau sehr gern. Angela ist mir bereits zu einer Freundin geworden, die ich bestimmt oft sehen möchte. Aber es ist mir doch unangenehm, noch länger die Gastfreundschaft der Familie in Anspruch nehmen zu müssen."
"Das kann ich gut verstehen. Also dann komme ich morgen zeitig in der Frühe zu Dragon House und helfe beim Entladen der Kutsche. Ist das so in Ordnung?"
"Ashton wird sicher ebenfalls sehr froh sein, wenn er endlich alles ausgepackt und auf seinen Platz geräumt hat", murmelte die Frau. "Er hasst Unordnung. Bestimmt ist er dann auch wieder bei besserer Laune wie früher, wenn er seinen geregelten Tagesablauf hat. Wobei…"
"Was wolltest du sagen?"
"Die tägliche Arbeit in der Praxis wird ihm mit Sicherheit fehlen. Ich denke manchmal, ob es nicht doch ein Fehler war, dass wir nach Glannagan gekommen sind. Ashton lebte eigentlich nur für seine Arbeit, sie ist der Sinn seines Lebens. Wir gehören zwar auch dazu, aber wohl nur am Rande."
"Was veranlasst dich zu so einer schlimmen Vermutung?", fragte Marvin erschrocken. "Das ist ein heftiger Verdacht, den gerade du doch nicht leichtfertig aussprichst."
"Nein, ganz gewiss nicht." Charlene schüttelte den Kopf. "Das hat mir die Geschichte mit Christinas Puppe gezeigt. Seine Reaktion war mir völlig unverständlich." Sie waren jetzt wieder aus dem Haus getreten.
"Was war mit der Puppe? Willst du mir die Geschichte erzählen?" Er half ihr beim Einsteigen und spürte für einen kurzen, kostbaren Augenblick ihren Körper dicht an seinem. Sein Herz klopfte so heftig, dass er Angst hatte, sie könnte es hören.
"Es ist nichts Spektakuläres", meinte Charlene gleichmütig. "Eigentlich gibt es da nicht viel zu erzählen. Christina hat eine Lieblingspuppe, wir haben sie auf dem Flohmarkt erstanden. Sie sieht ein wenig seltsam aus, so, als würde sie wirklich leben. Aber das ist nur so ein Eindruck. Christina liebt ihre Puppe über alles, doch immer, wenn Ashton sie damit sieht, dreht er durch."
"Hast du ihn schon gefragt, was das zu bedeuten hat?"
"Nicht nur einmal", antwortete Charlene. "Immer wieder habe ich versucht, ein Gespräch darüber zu führen, aber er weicht mir immer aus, wird manchmal sogar grob deshalb. Ich habe aufgegeben, es zu ergründen."
"Vielleicht sollte Christina sich an eine andere Puppe gewöhnen. Ich weiß, das ist nicht einfach, aber sie könnte sie doch in ihrem Zimmer lassen, um solchen Ausbrüchen aus dem Weg zu gehen."
"Christina wollte sie mitnehmen auf unsere große Reise. Noch am Morgen gab es eine heftige Auseinandersetzung mit Ashton, als
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