Die weiße Frau von Devils Rock
finden. Es ist bald Abend, und wenn es dunkel wird, sehen wir nichts mehr. Hast du eine Vermutung?"
Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Sie wollte heute zuhause bleiben und lesen."
"In diesem Buch vermutlich."
Darauf antwortete Christina nicht, sie nickte nur. "Vielleicht steht da etwas, das sie so aufgeregt hat", meinte sie nur.
"Komm mit, Christina. Wir machen uns auf die Suche", entschied der Arzt, der auf einmal ebenfalls große Angst um die Frau hatte. Warum er so empfand, darüber wollte er sich jetzt keine Rechenschaft ablegen. Es war so und er akzeptierte es.
Es war bereits später Nachmittag, als Marvin in Begleitung von Christina erneut auf seinen Wagen aufstieg. Zuvor hatte er noch auf einen Zettel eine Nachricht für Ashton hinterlassen, falls dieser noch in der Nacht nach Hause kommen würde. Er wusste nicht, in welche Richtung er fahren sollte, doch eine innere Stimme sagte ihm, er sollte es vielleicht dort versuchen, wo Ashton sich fast umgebracht hätte, in der Nähe von Devils Rock. Das war der einzige Platz zum Suchen, der ihm sinnvoll erschien.
"Was machen wir, wenn wir Mum nicht finden?" Das Mädchen war den Tränen nahe. "Ich hab Angst."
Marvin wollte nicht zugeben, dass es ihm nicht viel anders erging, denn es hätte nichts gebracht, Christina noch zusätzlich zu ängstigen. Er trieb sein Pferd an, konnte es nicht erwarten, bis er endlich in der Ferne die dunkle Silhouette des Waldes erkennen konnte. Dann fuhren sie an dem Baum vorbei, von dem Ashton ihm erst vor wenigen Stunden erzählt hatte. Eine unheimliche Stimmung war heute an diesem Ort, wie er sie noch nie zuvor empfunden hatte. Nebel war aufgekommen, der ihnen nur ein Stückchen Sicht gewährte.
Marvin drosselte sein Pferd, denn er hatte Angst, etwas zu übersehen, das wichtig gewesen wäre. Mit seinen Blicken versuchte er, die dichte Milchsuppe, zu der sich die Nebelschwaden zusammengeballt hatten, zu durchdringen.
"Es sieht hier so gespenstisch aus." Christina war den Tränen nahe. Ihr Nachmittag auf Rochester Castle war so schön gewesen, voller Fröhlichkeit. Auch Lady Angela hatte zusammen mit ihrer kleinen Tochter Leslie im Park mit ihnen gespielt, und sie hatte eigentlich noch gar nicht nach Hause gehen wollen, wenn nicht Benjamin auf einmal so unleidlich geworden wäre. Jetzt jedoch war sie froh, dass sie es doch getan hatte. So hatte sie wenigstens den Doktor an ihrer Seite, der ihr beim Suchen half.
"Wir werden deine Mum finden", versuchte Marvin, das Mädchen zu beruhigen. "Wir müssen sie finden", fügte er leise hinzu, um sich selbst damit Mut zu machen. Auch er hatte entsetzliche Angst um Charlene, die mit jeder Minute noch größer wurde.
Marvin fand den Baum, von dem Ashton gesprochen hatte, ohne Schwierigkeiten. Es war der einzige Baum, der direkt neben einem Felsbrocken stand. Entsetzt stellte er fest, dass dies vermutlich auch der Baum war, an dem sich der Überlieferung nach Peter Barrymore vor vielen Jahrzehnten das Leben genommen hatte.
Er hielt einen Moment lang an und schaute sich um. "Vielleicht ist sie hier in der Nähe", vermutete er, doch er merkte ziemlich rasch, dass dies nicht der Fall war. Enttäuscht fuhren sie weiter.
"Dort vorne ist ihr Wagen", schrie Christina nach einer Weile entsetzt auf. "Ich bin ganz sicher, es ist ihr Wagen, ich erkenne ihn an der roten Fahne, die hab ich selbst angebracht."
Marvin hatte das Gefühl, als würde sein Herz für einen Moment lang aussetzen. Nur noch wenige Meter, dann hatten sie das einsame Gefährt erreicht. Er sprang vom Kutschbock und lief auf den Wagen zu. Er war leer. Das Pferd schien ziemlich nervös zu sein und es hatte Schaum vor dem Mund, kein gutes Zeichen.
Der Arzt redete beruhigend auf das Tier ein, dann führte er es samt Kutsche zu seinem eigenen Wagen, um es da festzubinden. Es fiel ihm sehr schwer, Christina zu sagen, dass sie jetzt noch mehr Grund zur Sorge hatten. Doch das musste er gar nicht. Schluchzend schaute das Mädchen ihn an. "Ist Mum tot?", fragte es und konnte sich gar nicht mehr beruhigen.
Marvin nahm sie einfach in die Arme und streichelte ihr über das weiche Haar. "Ich weiß es nicht", gestand er leise und konnte nicht verhindern, dass auch seine Stimme bebte. "Ich weiß auch nicht, wo wir suchen sollen."
Christina machte sich sanft von ihm los. Mit verschleiertem Blick schaute sie in die Ferne und deutete dann auf einen schmalen
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