Die weiße Frau von Devils Rock
Charlene es nicht mehr aus. Sie musste wissen, wovor ihr Pferd sich fürchtete. Denn soviel wusste sie bereits, dass ein Pferd, das abrupt stehen bleibt, immer vor etwas erschrocken war.
"Es ist doch alles in Ordnung." Sie stieg ab und ging nach vorne zu ihrem Tier, das sie aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. Man brauchte nicht sehr viel Phantasie dazu um zu erkennen, dass das Pferd entsetzliche Angst hatte. Gerade wollte Charlene die Hand nach dem Tier ausstrecken, um es mit Streicheln über den schönen Kopf doch noch zu beruhigen. Doch es kam ganz anders.
Auch jetzt spürte sie wieder diesen kühlen Windhauch, der sie streifte. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Obwohl sie noch immer nicht so recht an Erscheinungen glauben wollte musste sie innerlich zugeben, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. "Ist da jemand?", fragte sie leise, und in ihrer Stimme schwang plötzlich Angst mit. Sie schaute sich um. Der Nebel war innerhalb kürzester Zeit noch dicker geworden.
Im Singen des Windes glaubte sie ein leises Lachen hören zu können, das von einer Frau stammte. Die Stimme war angenehm und einschmeichelnd, und dennoch lag eine Härte darin, die ihr sagte, dass Gefahr drohte.
Charlene wich zurück, bis sie den warmen Körper des Pferdes an ihrem Handrücken spüren konnte. Im Nebel glaubte sie, die Gestalt einer Frau gesehen zu haben, die nicht weit von ihr entfernt einfach dastand und zu ihr starrte.
"Was willst du?", fragte sie und bewegte dabei kaum die Lippen. Sie fühlte sich, als würde Eiswasser durch ihre Adern rinnen.
"Ich will meinen Mann wiederhaben", flüsterte die Frau, und ihr Lächeln erlosch. Sie war durchscheinend wie ein Hauch und doch war sie real anwesend.
"Wer bist du?"
"Gib mir meine Familie zurück, oder du wirst dafür bezahlen. Bring mir meinen Mann und mein Kind." Die Erscheinung kam näher. Das lange Haar wehte im Wind und in den weit aufgerissenen Augen lag ein Flackern, das nichts Gutes verhieß.
"Ich kenne deine Familie nicht." Charlene war den Tränen nahe. "Lass mich zufrieden und geh weg. Ich glaube nicht an Geister." Mit diesen Worten, ziemlich laut ausgesprochen, wollte sich die junge Frau selbst Mut machen. Doch das gelang ihr nicht.
"Du glaubst mir nicht?" Wieder war da dieses laute Lachen, das sie nicht mit den Ohren hören konnte. Es war einfach in ihrem Kopf und dennoch um ein Vielfaches lauter als es in der Realität gewesen wäre. "Ich kann es dir beweisen, dass es mich gibt. Vielleicht glaubst du mir dann auch, dass mit meinen Wünschen nicht zu spaßen ist."
Plötzlich wurde es eiskalt um Charlene. Ihre Härchen auf den Armen sträubten sich, und die Gänsehaut überzog ihren ganzen Körper. Sie spürte, wie ihre Zähne anfingen, ganz schnell aufeinander zu schlagen. Sie schaffte es gerade noch zum Wagen. Krampfhaft klammerte sie sich an dem Haltegriff fest und versuchte aufzusteigen. Sie wollte nur noch weg, fort von diesem Ort, der ihr entsetzlich Angst machte.
Gerade als sie glaubte, es geschafft zu haben begann sie zu schwanken und verlor den Halt. Ihre klammen Finger wurden schwach und sie spürte, wie sie über das glatte Holz rutschten. Sie stürzte vom Wagen, ehe sie überhaupt begreifen konnte, wie ihr geschah. Ein scharfer Schmerz durchzuckte sie, doch sie rappelte sich wieder auf und versuchte erneut, auf den Wagen zu steigen.
Da griff eine kalte Hand nach ihr, sie konnte es deutlich auf ihrem Arm spüren. Ihre Hände drohten erneut zu erschlaffen, sie spürte, wie ihr Griff sich lockerte. Mit letzter Kraftanstrengung zog sie sich hoch.
In diesem Moment geschah es. Ein Blitz, gleißend hell und drohend, zuckte über den Himmel. Sogar der Nebel wich zur Seite. Es folgte kein Donner.
Der Wallach stieg, wieherte vor Schreck ganz laut, seine Vorderbeine hoben sich in die Luft, dann fielen sie wieder mit voller Wucht auf den Boden zurück. Von unsichtbarer Kraft getrieben rannte er los.
Charlene hatte den Kutschbock noch nicht ganz erreicht. Hilflos hing sie an der Seite und hielt sich krampfhaft fest, wohl wissend, dass sie es so nicht lange aushalten konnte.
"Hilfe!" Ihr Schrei gellte durch den Nebel, der sich ein wenig gelichtet hatte. Gleichzeitig war ihr klar, dass sie hier in der Einsamkeit niemand hören konnte. Sie war auf sich allein gestellt, und wenn sie jetzt stürzte konnte es sehr lange dauern, bis man sie fand.
"Stop, Percy",
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