Die weiße Frau von Devils Rock
Benny noch Streite angefangen. Manchmal ist er unmöglich."
Marvin sagte nichts dazu. Er spürte nur, wie das unangenehme Grimmen in seinem Innern immer schlimmer wurde. Seine Sorge um Charlene wuchs und wuchs, obwohl es dafür keinen logischen Grund gab.
Dragon House lag verlassen da. Man konnte es schon spüren, wenn man dieses Haus nur anschaute. Es strahlte Ablehnung aus und Kälte, die Marvin frösteln ließ. Doch er zeigte es nicht. Erschrocken war er jedoch, als er sah, dass der Einspänner nicht da war. "Ist dein Vater weggefahren?"
Christina schüttelte den Kopf. "Dad ist bereits in der Frühe fort gegangen. Ich weiß nicht wohin. Dad geht immer weg und kommt erst spät in der Nacht zurück."
"Und du hast keine Ahnung, wohin er dann immer geht?"
"Er sagt es uns nicht", antwortete Christina traurig. "Ich weiß nicht, was auf einmal mit ihm los ist. Er gehört gar nicht mehr zu uns."
"Das heißt, dass deine Mutter allein weggefahren ist."
Christina nickte.
"Hat sie gesagt, wohin sie möchte?"
Das Kind zuckte die Schultern. Die Haustüre war nur einfach geschlossen, nicht verschlossen. Marvin und Christina betraten das Haus. Stille empfing sie. Auf dem Tisch im Wohnzimmer lag aufgeschlagen das Tagebuch der Serena Barrymore.
Christina stürmte zum Tisch. "Sie hat es gefunden", flüsterte sie erschrocken. "Sie hat darin gelesen, deshalb ist sie gegangen."
Marvin verstand nicht. Er war neben das Kind getreten und schaute jetzt verblüfft auf die eng beschriebenen Seiten. Sie erinnerten ihn an das Buch, das er selbst in seinem Schrank gefunden hatte. Die ersten Eintragungen in der Chronik waren mit derselben Handschrift verfasst worden.
"Was ist das für ein Buch? Woher hast du es?"
Christina zuckte zusammen. "Ich… Mum muss es in meinen Sachen gefunden und darin gelesen haben", versuchte sie abzulenken, weil sie die Wahrheit nicht sagen wollte.
"Ich tu dir doch nichts, Christina", versuchte der Arzt, das Mädchen zu beruhigen. "Mir geht es nur darum zu erfahren, warum all diese seltsamen Dinge hier passieren. Also, woher hast du dieses Buch?"
"Eine alte Frau hat es mir gegeben." Christina schaute auf den Boden. Sie fühlte sich nicht gut dabei, ihr Geheimnis preis zu geben. "Das war bei unserer letzten Rast, wo wir auch übernachtet haben."
"Das bringt mich nicht sehr weiter."
"Die Frau sagte, das Buch hätte ihre Urgroßmutter geschrieben." Jetzt war es heraus. Christina atmete erleichtert auf. "Sie sagte, jetzt könnte sie beruhigt gehen, weil alles an seinem Platz ist. Oder so ähnlich", fügte das Kind ein wenig unsicher hinzu.
"Weil alles an seinem Platz ist." Marvin setzte sich und blätterte in dem Buch genau an der Stelle, an der Charlene vermutlich aufgehört hatte. Immer wieder las er einzelne Abschnitte und schüttelte dann voll Unbegreifen den Kopf. "Welch ein entsetzliches Leben musste diese arme Frau führen", sagte er leise. Was Charlene jedoch so betroffen gemacht hatte, dass sie weggefahren war, wusste er noch immer nicht.
"Sie hieß Serena, nicht wahr?", fragte Christina und stand noch immer neben dem Mann.
Marvin nickte. "Serena Barrymore", antwortete er. "Sie lebte in diesem Haus, zusammen mit ihrem Mann Peter und der kleinen Tochter Thissa."
"Thissa?", wiederholte Christina überrascht. "Meine Puppe heißt auch so. Dad hasst meine Thissa. Er wollte sie wegwerfen, als wir noch zuhause waren. Aber dann hat sie es geschafft, trotzdem mit mir zu reisen. Sie war auf einmal in meiner Tasche."
Der Arzt blickte von seiner Lektüre hoch. "Was sagst du da?", fragte er geistesabwesend. Die Erzählungen der Unbekannten fesselten ihn so sehr, dass er gar nicht mehr in die Wirklichkeit zurück finden konnte.
"Thissa."
"Was ist mit Thissa? So hat das Mädchen geheißen, die Tochter von Serena und Peter Barrymore. Hier steht es, beide liebten das Mädchen sehr." Der Arzt konnte sich gar nicht losreißen.
"Mum ist noch immer nicht zurück." Christina hatte auf einmal Angst, entsetzliche Angst. "So etwas hat sie noch nie gemacht. Sie muss sich ganz plötzlich entschlossen haben, wegzufahren. Ich … ich will, dass Mum wieder da ist." Christina begann auf einmal zu zittern.
Jetzt schob der Arzt das Buch zurück. "Du hast Recht, Christina", sagte er erschrocken. "Wir müssen sie suchen. In diesem Buch werde ich jedenfalls keine Erklärung für ihr Verschwinden
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