Die weiße Frau von Devils Rock
ihm zurück gelassen, und wenn er Genaueres wissen wollte, konnte er ihn, Marvin, jederzeit in der Praxis aufsuchen.
"Sie wollte mich umbringen." Charlene begann zu schluchzen. "Sie kam aus dem Nebel , stand plötzlich vor dem Wagen. Ich hatte sie zuerst gar nicht so richtig wahrgenommen, doch auf einmal war sie da."
"Du musst nicht weiter reden, Charlene", versuchte Marvin sie zu beruhigen. "Wir können morgen darüber reden, wenn es dir wieder besser geht. Du hast eine ziemlich üble Wunde am Hinterkopf, und auch an Stirne und Wange hast du Abschürfungen. Außerdem Prellungen am ganzen Körper, die vermutlich höllisch schmerzen."
Die Frau nickte schwach. "Was will sie von mir? Ich habe ihr doch nichts getan."
"Du hast dich bestimmt geirrt."
"Nein, hab ich nicht", fuhr Charlene ihn zornig an. Sie versuchte, sich ein wenig aufzurichten, sank dann jedoch mit einem Schmerzenslaut wieder in ihr Kissen zurück. "Ich will nach Hause."
"Jetzt kann ich dich nicht mehr nach Dragon House zurückbringen", meinte Marvin überrascht. "Du musst wenigstens diese eine Nacht hier bleiben, für den Fall, dass es Komplikationen gibt."
"Ich will weg von hier, möchte zurück nach London", murmelte die Frau. "Der Nebel macht mir Angst. Ich hab sie genau gesehen."
"Natürlich hast du sie gesehen", bestätigte Marvin und streichelte über ihre Wange. "Und jetzt wirst du schlafen. Morgen, bei Tageslicht, sieht die Welt schon ganz anders aus. Dann sind deine Ängste nur noch winzig klein."
"Du nimmst mich nicht ernst." Charlene drehte sich auf die andere Seite. Nur mit letzter Kraftanstrengung unterdrückte sie einen Aufschrei, denn jede Bewegung tat ihr so weh, als sei sie mit ihrem Körper zwischen zwei Mühlsteine geraten. Plötzlich zuckte sie erschrocken zusammen. "Sie ist hier", flüsterte sie Marvin zu und suchte seine Hand. "Bitte bleib heute Nacht bei mir. Ich hab entsetzliche Angst. Sie steht da und schaut mich an. Sie … hasst mich", fügte sie noch voller Angst hinzu.
"Wo ist sie denn? Ich kann niemanden sehen", widersprach Marvin, bereit, ihre Ängste als Hirngespinste abzutun. "Wohin muss ich schauen, damit ich sie sehen kann?"
"Da – an der Türe steht sie. Sie schweigt nur und starrt mich an. Schick sie weg, Marvin. Bitte schick sie weg", wimmerte Charlene und zog sich die dicke Wolldecke bis ans Kinn.
Marvin folgte etwas unsicher ihrem Blick, aber an der Türe konnte er niemanden entdeckten. Sie waren allein im Zimmer. "Sag mir, wie sie aussieht."
Charlene begann bereitwillig, die Erscheinung zu beschreiben, die sie sehen konnte. Doch immer wieder merkte er, dass sie abschweifte und von etwas anderem redete. Daraus schloss er, dass sie von einem Phantom redete, das nicht da war. Beruhigend streichelte er ihre Hände und versuchte, sie mit seinem Bericht, wie er sie zusammen mit Christina gesucht hatte, abzulenken. "Wir dachten schon, wir würden dich gar nicht mehr finden", schloss er seinen Bericht.
Charlene schwieg, schaute ihn nur an. "Sie ist noch immer da", murmelte sie nur. Dann drehte sie den Kopf zur Seite und war wenig später eingeschlafen.
Erleichtert atmete Marvin auf, denn er war überzeugt davon, dass es ihr, wenn sie aufwachte, schon etwas besser gehen würde. Die Angst um sie fiel ein wenig von ihm ab, doch gleichzeitig stieg ein anderes Gefühl in ihm auf, das ihm Unbehagen bereitete. Er musste akzeptieren, dass er die Frau seines Freundes liebte – von ganzem Herzen.
Er erhob sich, seine Gedanken waren schwer. Traurig schaute er auf die Schlafende, dann wandte er sich zur Tür. In dieser Nacht würde er keinen Schlaf mehr finden, das spürte er mit schmerzhafter Deutlichkeit. Dennoch wollte er sich wenigstens ein paar Stunden hinlegen.
Als er die Hand auf die Türklinke legte spürte er einen kalten Hauch, der seinen Handrücken und sein Gesicht streifte. Erschrocken zuckte er zurück.
"Sie wird sterben."
Marvin blieb wie angewurzelt stehen. Hatte er die Worte wirklich gehört oder sie sich nur eingebildet? Er schaute sich um.
Leises Lachen erfüllte den Raum. Es klang so fröhlich und gleichzeitig so traurig, dass ihm ganz seltsam zumute wurde. "Wer ist das?"
"Ich bin es", flüsterte es um ihn herum. "Jetzt werde ich meine Familie holen. Du hast meinen Plan vereitelt, aber das nächste Mal wird es gelingen. Verabschiede dich von deiner Liebsten. Sie wird gehen müssen, weil
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