Die weiße Garde
Wie sollte er es ihr sagen? Die Dame starrte ihn mit glänzenden Augen eigensinnig an, und Nikolka wurde noch verlegener. Neben ihm erschien noch eine Frau, offenbar jung und auch Nai ähnlich.
»Nun reden Sie endlich!« sagte die Mutter hartnäckig.
Nikolka knüllte die Mütze, hob den Blick zu der Dame und sagte: »Ich … ich …«
Die hagere Dame, die Mutter, starrte ihn mit schwarzen und, wie ihm schien, haßerfüllten Augen an und schrie plötzlich so laut auf, daß hinter Nikolka die Glasscheiben klirrten:
»Felix ist tot!«
Sie ballte die Fäuste, fuchtelte vor Nikolkas Gesicht und schrie: »Er ist tot, Irina, hörst du? Felix ist tot!«
Vor Angst wurde Nikolka dunkel vor Augen, er dachte verzweifelt: Ich habe doch gar nichts gesagt … O mein Gott! Die dicke Dame mit dem Kneifer schloß hinter Nikolka schnell die Tür. Dann lief sie rasch zu der hageren Dame, faßte sie um die Schultern und flüsterte hastig:
»Maria Franzewna, meine Liebe, beruhigen Sie sich doch.«
Dann beugte sie sich zu Nikolka und fragte: »Vielleicht stimmt es nicht? O Gott! Reden Sie doch. Ist es wahr?«
Nikolka konnte gar nichts sagen. Er warf nur einen verzweifelten Blick nach vorn und sah wieder den Sessel.
»Leise, Maria Franzewna, meine Liebe, leise, um Gottes willen. Es könnte jemand hören. Der Wille Gottes …«, murmelte die Dicke.
Nai-Turs’ Mutter sank zu Boden und schrie:
»Vier Jahre! Vier Jahre! Ich warte und warte. Ich warte!«
Da stürzte die Junge, die hinter Nikolka stand, zur Mutter und fing sie auf. Nikolka hätte helfen müssen, aber er brach plötzlich in heftiges, unaufhaltsames Weinen aus. Die Fenster waren mit Gardinen verhängt, im Wohnzimmer herrschte Halbdunkel, in dem es widerlich nach Medikamenten roch.
Das Schweigen brach schließlich die Junge, die Schwester Nai-Turs’. Sie drehte sich vom Fenster weg und trat auf Nikolka zu. Er erhob sich vom Sessel, die Mütze, deren er sich unter diesen schrecklichen Umständen nicht entledigen konnte, noch immer in der Hand. Die Schwester ordnete mechanisch eine schwarze Locke und fragte mit zuckendem Mund:
»Wie ist er gestorben?« »Er starb wie ein Held«, antwortete Nikolka in seinem besten Tonfall, »wie ein wahrer Held. Alle Junker hat er rechtzeitig weggeschickt, im allerletzten Moment, und er«, Nikolka weinte beim Erzählen, »er gab ihnen Feuerschutz. Beinah wäre ich mit ihm gefallen. Wir waren in ein Maschinengewehrgefecht geraten, nur zu zweit, er schimpfte mit mir, jagte mich weg und schoß mit dem Maschinengewehr. Von allen Seiten her kam dann Kavallerie, wir waren in eine Falle geraten. Buchstäblich von allen Seiten.«
»Und wenn er nur verwundet ist?«
»Nein«, antwortete Nikolka bestimmt und wischte sich mit dem schmutzigen Taschentuch Augen, Nase und Mund. »Nein, er ist gefallen. Ich habe ihn selbst befühlt. Eine Kugel traf ihn am Kopf und eine in die Brust.«
Im Wohnzimmer wurde es noch dunkler, aus dem Nebenzimmer kam kein Laut, Maria Franzewna war ganz still. Nais Schwester Irina, die korpulente Dame mit dem Kneifer (die Hausbesitzerin Lydia Pawlowna) und Nikolka standen dicht beieinander und tuschelten.
»Ich habe kein Geld mit«, flüsterte Nikolka, »wenn nötig, gehe ich schnell Geld holen, dann können wir fahren.«
»Geld gebe ich«, sagte Lydia Pawlowna. »Darum geht’s jetzt nicht; Hauptsache, Sie haben dort Glück. Der Mutter kein Wort, Irina … Ich weiß gar nicht, was ich machen soll.«
»Ich fahre mit«, flüsterte Irina, »wir werden alles erreichen. Sagen Sie ihr, er liegt in der Kaserne, und man muß eine Erlaubnis haben, um ihn zu sehen.«
»Nun, das ist gut.«
Die korpulente Dame trippelte ins Nebenzimmer, und sogleich ertönte flüsternd ihre beschwörende Stimme.
»Maria Franzewna, bleiben Sie um Gottes willen liegen. Sie gehen jetzt los und bringen alles in Erfahrung. Dieser Junker sagt, er liegt in einer Kaserne.«
»Auf einer Holzpritsche?« fragte die klangvolle und, wie es Nikolka wieder vorkam, haßerfüllte Stimme.
»Nein, Maria Franzewna, in der Kapelle, in der Kapelle.«
»Vielleicht liegt er auf einer Straßenkreuzung, und die Hunde nagen an ihm.«
»Ach, Maria Franzewna, was reden Sie da! Ich flehe Sie an, bleiben Sie ruhig liegen.«
»Mama ist in diesen drei Tagen fast wahnsinnig geworden«, flüsterte Nais Schwester, strich eine widerspenstige Strähne zurück und sah irgendwohin ins Leere. »Aber das ist jetzt ganz gleich.«
»Ich fahre auch mit«, kam es aus dem
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